Über dir, Jerusalem, erstrahlt der Herr
„Über dir, Jerusalem, erstrahlt der Herr, er geht auf über dir gleich der Sonne.“ Das sind Worte aus dem Buch Jesaja (vgl. Jes 60,2). Im Advent kommen sie jeden Tag im Morgengebet der katholischen Kirche vor. Ich mag sie besonders gern, denn sie erinnern mich an eine Adventszeit, die sich mir tief eingeprägt hat. Zwanzig Jahre liegt sie schon zurück, 2001. Damals habe ich in Jerusalem gelebt und habe dieses Gebet jeden Morgen auf meinem Zimmer gebetet. Danach bin ich von unserem Haus die Stadtmauern entlang zur Arbeit gegangen. Oft ging dann tatsächlich gerade das sanfte Licht der Morgensonne auf. So konnte ich noch einmal mit eigenen Augen sehen, was ich gerade gebetet hatte: „Über dir Jerusalem erstrahlt der Herr, er geht auf über dir gleich der Sonne.“ Es hat mich auch deshalb besonders berührt, weil es drum herum 2001 ganz anders aussah.
Bomben explodieren in Jerusalem
Nach einem provokativen Besuch des damaligen Staatspräsidenten Ariel Scharon auf dem muslimisch belegten Tempelberg hatten die Palästinenser begonnen, sich mit ihren Mitteln zu wehren. Das geschah meist durch ausgesandte Selbstmörder, die mit ihren Bomben am Körper viele andere Menschen mit sich in den Tod rissen.
Zum ersten Mal in meinem Leben Bomben gehört
Das habe ich gleich am ersten Abend erlebt, als ich in Jerusalem ankam. Gerade war der Schabbat vorbei, und die Stadt füllte sich. Im Abendlicht hatte ich noch einen Spaziergang durch die Altstadt gemacht. Als es dunkel war und ich schon in meinem Bett lag, wurde ich durch zwei dumpfe Detonationen geweckt. 800 Meter von unserem Haus entfernt hatten sich zwei Attentäter vor einer Diskothek in der Jaffastraße in die Luft gesprengt. Es war das erste Mal, dass ich in meinem Leben Bomben gehört habe. Der Schrecken saß tief und hat mich durch die ganze Zeit in Jerusalem begleitet.
Frieden wird erst sein, wenn der Messias kommt
In unserem Haus arbeitete damals ein arabischer Koch. Issa hieß er, das ist der arabische Name für Jesus. Issa war Christ und lebte mit seiner Familie in Betlehem. Oft wurde er auf seinem Arbeitsweg schikaniert. Irgendwann habe ich ihn gefragt: „Issa, wann wird es in diesem Land endlich einmal Frieden geben?“ Eigentlich dachte ich, er könne etwas über politische Aussichten sagen. Issa blieb einen Moment ruhig, und nach einer kurzen Pause sagte er: „Wenn der Messias kommt.“
Wo Friede ist, da wird Gott spürbar
Für mich war das damals weit weg: Messias ist das Wort für Christus, und wann Christus wiederkommt, wer weiß das schon? Für Issa war es eine lebensnahe Hoffnung: Der Messias kommt und bringt Frieden. Wo Friede ist, da wird Gott spürbar. Es hat mich gelehrt, mein Beten im Advent neu zu verstehen: Ich bete darum, dass Gott kommt und Jesus Christus mit ihm. Das kann heute sein, überall dort, wo ich Augenblicke erlebe und Menschen begegne, die etwas von Gottes Frieden in die Welt bringen.