hr2 ZUSPRUCH
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Flicker, Steffen

Eine Sendung von

Schulleiter der katholischen Schule Marianum Fulda und Vorsitzender des Katholikenrates im Bistum Fulda

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Die Luft ist raus

Vor zwei Wochen – Früh am Morgen – Ich bin in Eile - Schwinge mich schnell auf mein Fahrrad. Aber leider muss ich schon sehr schnell feststellen: Es geht nicht. Der Vorderreifen ist platt. Nichts geht mehr. "Die Luft ist raus" - wie es so schön heißt. "Die Luft ist raus" - dieser Ausruf bezieht sich in diesen Tagen sicher nicht nur auf den Zustand meines Fahrradreifens. Nach wochenlangen Corona-Einschränkungen trifft das auch sicher auf den Gemütszustand vieler Menschen zu: "Die Luft ist raus" - ich werde müde. Es wird anstrengend, durch diese Pandemie zu gehen.

Wenn ich mit meinem Fahrrad eine Wegstrecke zurücklegen möchte, setze ich wie selbstverständlich voraus, dass dieses Transportmittel funktioniert. Dass genug Luft im Reifen ist, dass die Bremsen intakt sind und, dass das Licht in Ordnung ist. Ich plane gar keine Zeit ein, um vor dem Radfahren zu kontrollieren, ob es überhaupt funktionstüchtig ist. Einen vollgepumpten Reifen setze ich im Grunde voraus. Ich rechne gar nicht damit, dass der Reifen mich "im Stich lassen" könnte. Alles also selbstverständlich? Alles vorausgesetzt? Alles easy?

Mitnichten. Meine Lebenserfahrung zeigt mir: Nicht alles kann ich jederzeit voraussetzen. Und irgendwann geht es mir wie meinem Fahrradreifen: "Die Luft ist raus!" Dann bin auch ich leer. Nichts mehr drin. Ich muss erst wieder aufpumpen, Kräfte sammeln, auftanken. In der Bibel heißt es: "Kommt alle zu mir, die Euch Mühsal plagt, die ihr beladen seid!" (Mt 11, 28) Ja, so komme ich mir auch manchmal vor: Be-laden. Zu schwer, zu viel, too much. Ich kann nicht mehr. Mir fehlt einfach die Kraft! Ich fühle mich leer. Wie gut es tut, wenn ich in solchen Momenten innehalten kann, zum Durchatmen kommen kann und wenn ich versuche, mit Dingen, die mir guttun, meinen sinnbildlichen Fahrradreifen wieder aufpumpen kann. Das fällt mir nicht immer leicht. Nicht so einfach wie mit einer Fahrradpumpe einen Reifen voll zu bekommen. Einfach immer nur pumpen - dann geht es schon wieder.

Wir Menschen brauchen Zeit. Meine Seele braucht Zeit. Niemand kann exakt ausrechnen, wie lange dieses Aufpumpen dauert. Ich finde, es ist vor allem entscheidend, dass ich mir solchen Momenten bewusstwerde. Dass ich wahrnehme: Jetzt ist die Luft raus. Mein Akku ist leer – ich habe keine Energie mehr. Dann kann ich auch etwas dagegen unternehmen. Etwas machen, was mir guttut, Kraft tanken. Es geht nicht immer weiter, weiter und weiter. Nicht bei einem Fahrradreifen und nicht bei der menschlichen Seele. Also tun Sie sich und Ihrer Seele doch heute etwas Gutes.