hr2 ZUSPRUCH
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Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Das Haus mit den Uhren

Das Haus mit den Uhren

Wie seltsam dieses Haus ist. Überall gibt es Uhren. Gleich am Eingang an der Pforte, dann in der Küche. Die große Standuhr steht im Aufenthaltsraum. Auf jedem Stockwerk ist auch alles voller Uhren. Mal an der Wand, mal auf dem Tisch oder im Fernsehgerät. Kaum dreht man seinen Kopf, sieht man schon die nächste Uhr. Im Büro sind gleich drei davon. Und - alle gehen falsch, Tatsache. Jede Uhr zeigt eine andere Zeit. Mal ein paar Minuten vor oder zurück, mal eine halbe Stunde, oder, wie beim Backofen, gleich viele Stunden. Die Standuhr schlägt zu unmöglichen Zeiten, nie zur vollen Stunde. Und das im Altenheim. So etwas verwirrt doch nur, denke ich. Kein Mensch kennt noch die richtige Zeit. Ein Kalenderblatt im Flur zeigt sogar den falschen Monat. Wer soll sich denn da noch zurechtfinden.

Vielleicht soll man gar nicht, überlege ich. Das mit den vielen Uhren könnte ja auch Absicht sein. Was ist schon Zeit. Immer diese Uhren: am Handgelenk, in der Küche, im Bad. Jede Wohnung soll im Schnitt sieben davon haben. Manche tickt auch noch; hörbar. Überall Zahlen oder Zeiger. Aber was zeigen die schon. Dass Zeit vergeht? Nein, Zeit vergeht nicht. Wir vergehen. Das müssen wir nicht zählen, das wissen wir auch ohne Uhr. Immer messen wir die Zeit, haben genaue Uhren, sogar Funkuhren. Als hätten wir die Zeit im Griff. Irrtum; haben wir nicht. Oft greift die Zeit nach uns. Erst stellen wir Uhren auf, dann fühlen wir uns getrieben.

Wir sind aber keine Knechte der Uhr. Niemals. Auch wenn wir uns so fühlen. Wir

sind frei. Was immer diese oder jene Uhr uns zeigt: Wir sind viel mächtiger. Und dürfen selbst bestimmen, was uns die Stunde schlägt. Scheint die Sonne, gehen wir einfach mal kurz raus und genießen sie. Und uns gleich mit. Regnet es, erledigen wir etwas oder erholen uns oder besuchen einen Freund. Uhren sind oft wie Peitschen, mit denen wir uns antreiben. Aber wohin? Immer diese Hast, die Unruhe. Dabei ist so vieles nichtig. Wir vergehen, auch ohne das zu messen. Die Uhr muss das nicht zeigen, das zeigt uns Gott schon. Uhrzeit ist kein Maß für nichts. Gott ist alle Zeit der Welt. In seinen Händen ruht sie. Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Gott braucht keine Uhr, um uns Rastlose an der Hand zu halten. Ganz fest tut er das. Auf Erden - und später dann. Wenn endlich keine Uhren mehr sind.