hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Darmstadt

Wenn heute mein letzter Tag wäre

Was würdest Du tun, wenn Du wüsstest: Heute ist Dein letzter Tag? Wen würdest Du anrufen? Mit wem Dich treffen? Oder gibt es einen Ort, an den Du noch einmal fahren möchtest? Ich frage mich, ob Jesus sich diese Frage gestellt hat am Abend vor seinem Tod. Heute am Gründonnertag vor über zweitausend Jahren. Ich stelle mir vor, wie er mit seinen Freundinnen und Freunden in Jerusalem ankommt an diesem Tag. Lange waren sie unterwegs gewesen. Offenbar weiß Jesus, was ihn erwartet. Er spürt: Das ist ihr letzter gemeinsamer Abend. Das legen die Jesus-Geschichten in der Bibel nahe. Was tut man mit diesem Wissen? Wie geht man miteinander um, wenn man weiß, dies ist der letzte gemeinsame Tag, die letzte gemeinsame Nacht?

Jesus gestaltet diesen Abschied auf seine Weise. Er feiert ein Fest mit seinen Freundinnen und Freunden. Der Raum wird liebevoll vorbereitet, die Gerichte sorgfältig gekocht. Sie essen und trinken gemeinsam. Teilen miteinander Brot und Wein. Dabei erzählen sie. Sie erinnern sich daran, wie Gott das Volk Israel aus Ägypten befreit hat, denn es ist das Passahfest, das sie feiern. So betten sie sich ein in die Geschichte ihres Volkes. Vergewissern sich ihrer Herkunft und ihres Glaubens in dem vertrauten Ritual. Und doch feiern sie auch ihre ganz persönliche Geschichte – ihre eigene gewachsene Gemeinschaft. Sie genießen, wie vertraut und nah sie zu Jesus sind. Und sie hören ihm zu. Lauschen noch einmal dem Klang seiner Stimme. Und spüren vielleicht auch, dass hier etwas Neues entsteht. Denn Jesus teilt Wein und Brot auf besondere Weise mit ihnen. Er fordert sie auf: Feiert dieses Mahl immer wieder zusammen, und denkt dabei an mich.

Und Jesus. Ich glaube, auch er genießt die Nähe zu seinen Freunden. Ich stelle mir vor, wie er sie noch einmal in den Blick nimmt. Sie berührt. Sich still verabschiedet. Jesus verbringt seinen letzten Abend zusammen mit seinen engsten Freundinnen und Freunden. Es ist eine gute Art, den letzten Tag zu erleben. Das Leben zu feiern gegen die Angst und gegen den Tod. Zusammen sein, nicht einsam.

Für mich erschließt sich so neu, was das Abendmahl bedeutet. Denn bis heute halten sich Christinnen und Christen daran. Jesus hat sie aufgefordert, dieses letzte Mahl immer wieder miteinander zu feiern und dabei an ihn zu denken. Es geht dabei um das Leben angesichts des Todes. Um die Frage, was wirklich zählt im Leben.

Was würde ich tun, wenn heute mein letzter Tag wäre? Das Abendmahl hält diese Frage in mir wach. Gleichzeitig finde ich eine Antwort. Es ist die Gemeinschaft, die wirklich zählt. Freunde und Freundinnen. Die Menschen, die mein Leben mit mir teilen. Die Menschen, denen ich mich vertraut und verbunden fühle – mit denen ich eine Geschichte habe. Mit ihnen würde ich feiern wollen, wenn heute mein letzter Tag wäre.