Hauptsache gesund? Hauptsache geliebt!
Meine Großmutter liebte das Leben. Sie aß mit Lust ihre Sahnetorte und schmierte sich dick die Butter aufs Brot. Der Arzt sagte, nach drei Herzinfarkten und sonstigen Malessen soll sie mehr auf die Gesundheit achten. Aber sie fuhr weiterhin in den Urlaub und stieg noch mit 80 auf kleine Berge. Manche schüttelten den Kopf: Wie kann man nur? Gesundheit ist doch die Hauptsache.
Meine Großmutter war fromm und hatte keine Angst vor dem Tod. Sie liebte das Leben. Und ich liebte sie. Sie hatte sich so eingerichtet, dass sie mit Hilfe der Sozialstation, mit guten Nachbarn und ihrer Familie über die Runden kam. Sie hatte auch einen Piepser vom Roten Kreuz. Als sie ihn drückte, war es zu spät – und ich glaube, das wollte sie auch so. Sie starb alt und lebenssatt.
Von meiner Oma habe ich gelernt, dass Gesundheit kein Selbstzweck ist. Es gibt noch mehr im Leben, als auf Gesundheit zu achten. Ich merke das bei Kranken. Wenn sie klagen, sagen sie oft gerade nicht: ich bin so krank. Sondern: Ich bin so allein. Ich falle anderen zur Last. Ich fühle mich abgeschoben. Ich gehöre nicht mehr dazu. Ich werde zwar versorgt, aber mir fehlt menschliche Wärme.
Ganz ähnlich ein Kranker in einer Geschichte aus der Bibel. Achtunddreißig Jahre war er schon krank. Er hauste mit Leidensgenossen zusammen. In der Nähe war ein Teich mit einem wunderhaften Wasser. Immer wenn es in Bewegung geriet, schleppten sich die Kranken dorthin. Wer zuerst drin war, wurde geheilt, so wurde erzählt. Schaffen konnte man das nur mit fremder Hilfe. Der Mann, der schon so lange krank war, war allein. Er hatte keine Chance.
Kranksein ist manchmal wie auf der falschen Talseite leben. Eine tiefe Kluft trennt von der Welt der Gesunden. Es muss Brücken geben, damit kranke Menschen nicht den Anschluss ans Leben verlieren. Interesse, Wertschätzung, Liebe – das sind solche Brücken. Wo es all das nicht gibt, können Menschen nicht leben.
Jesus sieht den chronisch Kranken und hat Erbarmen mit ihm. Er geht zu ihm hin und spricht ihn an: Willst du gesund werden? Der Mann ist schon so lange krank, dass er keine Hoffnung mehr hat. Er antwortet: „Ich habe keinen Menschen.“ Aber jetzt steht der vor ihm, den sie den Menschensohn nennen. Jesus sagt zum Kranken: Steh auf, nimm dein Bett und geh. Und der Mann stand auf, nahm sein Bett und ging.
Die Heilungswunder Jesu haben Maßstäbe gesetzt. Dass er sich den Kranken zuwandte und wie er es tat, das hat Folgen gehabt. Heilkunst und Krankenpflege waren von da an der Nächstenliebe verpflichtet. Das gilt auch im Kleinen: Ich soll hinsehen und hingehen, wenn einer schlecht dran ist.
Den Nächsten lieben ist mehr als Gesundheit erhalten und Leben verlängern. Wenn ich weiß, dass ich geliebt werde, dann muss ich nicht um jeden Preis alles rausschlagen. Hauptsache gesund? Nein, Hauptsache geliebt! Meine Großmutter hat das kapiert und gelebt. Gott hab sie selig.