hr2 ZUSPRUCH
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Wöllenstein, Andrea

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Marburg

„Weißt du, wo der Himmel ist?“

„Weißt du, wo der Himmel ist?“

„Weißt du, wo der Himmel ist? Außen oder innen? Eine Handbreit rechts und links? Du bist mitten drinnen!“ Ein schönes Lied ist das und eine gute Frage: „Weißt du, wo der Himmel ist?“ Für Menschen früherer Jahrhunderte war das klar: Der Himmel ist oben. Das hatte mit ihrem Weltbild zu tun. Die Erde, so glaubte man, ist eine Scheibe und darüber wölbt sich der Himmel wie eine Glocke. Die biblische Geschichte von der Himmelfahrt Jesu erzählt deshalb, dass Jesus vor den Augen seiner Jünger von einer Wolke umhüllt und in den Himmel aufgenommen wird. Wir wissen heute: Im Kosmos gibt es kein oben und unten. Die Erde ist eine Kugel und der Weltraum dehnt sich aus nach allen Seiten. Wo ist da der Himmel, in den Jesus aufgefahren ist?

Die biblische Geschichte weist eine Richtung. Während die Jünger nach oben schauen und Jesus in den Wolken suchen, erscheinen zwei Männer in weißen Kleidern. „Was steht ihr da“, fragen sie, „und blickt zum Himmel?“ Gerade so, als wollten sie sagen: Da oben werdet ihr ihn nicht finden. Jesus und den Himmel, die müsst ihr woanders suchen. Die Jünger verstehen die Frage der Engel und machen sich auf den Weg. Sie gehen nach Jerusalem, zu den anderen Jüngerinnen und Jüngern. Vielleicht erinnern sie sich an das, was er ihnen gesagt hat: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“. Wo Menschen in guter Gemeinschaft miteinander leben – da ist Jesus und da ist ein Stück Himmel auf Erden. Das Paradoxe an Himmelfahrt ist: Jesus entfernt sich von seinen Jüngerinnen und Jüngern, gleichzeitig kommt er ihnen näher als je zuvor. Er ist nicht mehr der, den sie begleitet haben auf seinem Weg, sondern er geht mit ihnen, ist bei ihnen, in ihnen, „alle Tage bis an der Welt Ende“. So hat er es ihnen zum Abschied versprochen. „Christus wohnt in euren Herzen“, heißt es an einer anderen Stelle der Bibel (Epheser 3,17).

Wenn wir den Himmel suchen, so verstehe ich das, müssen wir nicht über uns schauen, sondern in uns. An Weihnachten ist der Himmel auf die Erde gekommen.

An Himmelfahrt kommt der Himmel zu uns. Macht uns Menschen der Erde zu Menschen des Himmels. Die Erde ist unter mir, sie gibt mir Halt und Standfestigkeit. Der Himmel ist in mir, weil Christus in mir wohnt. Das gibt meinem Leben Würde und Glanz. Ich muss mich nicht klein machen oder klein denken. Auch wenn ich diese Weite nicht immer spüre, wenn der Himmel manchmal wolkenverhangen ist von Sorgen und trüben Gedanken.

Gut, dass morgen Feiertag ist. Freie Zeit, um raus zu gehen unter Gottes weiten Himmel. Zeit, um Gottesdienst zu feiern, vielleicht sogar im Freien, wie es in vielen Gemeinden an Himmelfahrt üblich ist. Ein Stück Himmel erleben: Sehen, wie die Wolken ziehen. Anderen begegnen. Miteinander reden und singen, gemeinsam essen und trinken. Den Himmel in mir spüren: Leichtigkeit und Weite, Zuversicht und Vertrauen, meine Lebendigkeit. Davon singt der letzte Vers des Liedes: „Weißt du, wo der Himmel ist“? „Nicht so hoch da oben. sag doch ja zu dir und mir – du bist aufgehoben.“ (EG 622)