Ödipussi
Inzwischen ist er ein Klassiker – Loriots erster Film, „Ödipussi“. Vor 24 Jahren hatte sie Premiere – die Komödie über Paul Winkelmann, 56 Jahre, Spießer und Muttersöhnchen. Obwohl er seit Jahren das familieneigene Möbelhaus leitet, steht er zu Hause noch völlig unter Mamas Pantoffel. „Du willst mich doch nicht traurig machen…“ mit diesem Satz hält Mama ihren Paul eisern an der Kandare.
Voller Tragik und Komik erzählt der Film von der zarten Liebe, die sich zwischen Paul Winkelmann und der Psychotherapeutin Margarethe Tietze entwickelt, deren Eltern einen ähnlich starken Einfluss auf sie haben wie Mutter Winkelmann auf ihren Sohn. Immer wieder macht Paul ebenso unbeholfene wie erfolglose Versuche, sich aus der Diktatur der Mutter zu befreien. Auf der anderen Seite fällt es ihm auch schwer, sich gegen sie und ihre Fürsorge abzugrenzen. Ob es ihm wirklich gelingt oder ob Mama am Ende doch die stärkere ist, bleibt offen.
Eine hinreißend gespielte Komödie, bei der man immer wieder hin und her gerissen ist, über Paul zu lachen oder ihn wegen seiner Schwachheit zu verachten. Und Mama wegen ihrer Unerschütterlichkeit zu fürchten oder zu bewundern. Wie immer bei Loriot ist es ein Film über menschliche Unzulänglichkeiten – und über zwischenmenschliche Beziehungen. Und über die Liebe, die manchmal als Zerrbild erscheint – so wie im Film die Liebe von Mama zu ihrem Paul, die als Besitzanspruch daher kommt.
Vielleicht ist das ja die größte Gefährdung für die Liebe von Eltern zu ihren Kindern: Nicht loslassen zu können. Kinder wie einen Besitz zu betrachten. Ganz genau zu wissen, was das Beste für die Kinder ist – vielleicht sogar dann noch, wenn sie längst erwachsen sind. Vielleicht ist das ja die größte Versuchung für Eltern, das Glück für ihre Kinder selber definieren zu wollen und das nicht den Kindern zu überlassen. Und wenn die Kinder aufbegehren und eigene Wege gehen wollen, dann zur moralischen Keule zu greifen: „Du willst mich doch nicht traurig machen…“
Natürlich zeichnet Loriot in seinem Film ein Zerrbild von Elternliebe. Aber indem ich darüber lache, erkenne ich doch auch, dass etwas von solcher falsch verstandenen Liebe auch in mir drin steckt. Und dass es mir auch manchmal schwer fällt, unsere Tochter eigene Wege gehen zu lassen, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie die richtigen sind. Dass es auch mir manchmal schwer fällt, die richtige Balance zu halten zwischen der Freiheit, die ich ihr lassen will und lassen muss, damit sie erwachsen werden kann – und dem Halt und den Grenzen, die ich ihr setzen muss, damit sie sich nicht verrennt.
Dass zur Liebe auch das Loslassen gehört, daran will ich mich erinnern. Und dass Kinder auf diese oder jene Weise dann doch ihren Weg finden und gehen, dessen bin ich mir gewiss. Übrigens deutet das auch die Schlussszene von Ödipussi an, bei der gar nicht deutlich wird, ob sie als Traum oder Realität zu sehen ist. Paul und Margarete sitzen auf dem Rücksitz eines Autos, Mama am Steuer. Und plötzlich zieht Paul seiner Mutter ihren Hut über die Augen. Mama lenkt immer noch, aber sie sieht nichts mehr. So fährt das Auto weiter geradeaus, verlässt die Straße, durchquert Felder und Wälder und fährt und fährt – in die Freiheit.