„Occupy Oakland“
Die Zelte standen dicht an dicht mitten im Finanzdistrikt von Oakland. Die Stadt auf der anderen Seite der Pazifikbucht ist die kleine und unbekanntere Schwester von San Francisco. Sie war im letzten Herbst neben New York eine der Hauptadressen für die „Occupy-Wallstreet- Bewegung“ in den Vereinigten Staaten. Im Finanzdistrikt campierten über mehrere Wochen über 400 Jüngere und Ältere, Schwarze und Weiße, vor allem Menschen aus der Mittelschicht. Viele von ihnen hatten durch die Immobilienblase in den USA ihr Haus oder ihre Wohnung verloren. Der Protest in New York, in Oakland, in Frankfurt oder anderswo kam und kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Es ging nicht um ein paar Freaks, die nur den öffentlichen Auftritt suchten, sondern um Menschen, die ihre Wut, Enttäuschung und ihren existentiellen Verlust zeigten. „So geht es nicht weiter!“ Mit großen Transparenten und Sprechchören bei Demonstrationen, in Interviews, öffentlichen Debatten und in Beiträgen der sozialen Medien zeigen die Frauen und Männer der Occupy-Bewegung, dass sie genug haben. Wovon? Sie nennen es die „Fratze des Mammons“, die wahnsinnige Jagd auf noch höhere Renditen, ohne dass diese Gewinne mit realwirtschaftlichen Entwicklungen noch etwas zu tun hätten. Viele Menschen auch und gerade im Mittelstand haben die Nase voll. Das habe ich im letzten Jahr in den USA an vielen Einzelschicksalen ablesen können.
Ein junger Mann drückte es so aus: „Wir können nicht länger den Gott des Geldes anbeten und um das goldene Kalb tanzen!“ Er ist selbst Unternehmer und hat vor einem Jahr seine Wohnung verloren. „Das ist doch alles ein unglaublicher Betrug, der da geschieht!“, fuhr er fort.
Während ich in Oakland war, habe ich beobachtet, wie Helikopter tagelang über das Protestlager flogen, um die Menschen am Boden einzuschüchtern. Gleichzeitig wurden die Menschen der Occupy-Bewegung von vielen Politikern als Kriminelle bezeichnet. Ihre Wut und Enttäuschung wurden verunglimpft, ihre Suche nach alternativen Wirtschaftsmodellen belächelt. Schließlich wurde das Lager in Oakland, wie auch im Zucottipark in New York und anderswo mit dem Hinweis auf die Sicherheitslage und auf die hygienischen Verhältnisse geräumt.
Ich kann die Menschen gut verstehen, die auf die Straße gehen. Und ich selbst frage mich auch, worum es bei der amerikanischen Immobilienblase und der weltweiten Finanzkrise eigentlich geht. Ich bin keine Wirtschaftsexpertin, aber ich bin interessierte Bürgerin. Was hat sich da verselbstständigt, was auch Bankexperten und Politikerinnen nicht mehr kontrollieren können? Und ich frage mich nach meiner eigenen Rolle: Sind hohe Renditen und Gewinne mein Lebensziel? Was brauche ich eigentlich zum Leben? Ich meine, dass Wachstum und Renditen um jeden Preis ein Prinzip darstellen, das auf seiner Rückseite Arbeitslosigkeit und Armut mit sich bringt.
Schon die Propheten im Alten Testament haben beklagt, dass Reichtum und Besitz vielen Machthabenden den Kopf vernebelt haben und sie ihre Verantwortung für soziale Gerechtigkeit vernachlässigen. Worum geht es eigentlich im Leben? Und was ist mir wichtig? Letztendlich kann das jeder und jede nur für sich selbst beantworten.