hr2 ZUSPRUCH
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Wöllenstein, Andrea

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Marburg

Muttertag

Muttertag

„Gestern Abend war ich noch einmal bei meiner Mutter“, erzählt eine Freundin. Sie ist oft bei ihr, nicht nur am Muttertag. Es war ein Glücksfall, dass damals ein Platz im Altenheim frei geworden ist, ganz in der Nähe. Zu Hause ging es nicht mehr alleine. Die Mutter wurde immer verwirrter. Vergaß, sich anzuziehen, den Herd abzuschalten. Fand nicht mehr allein nach Hause. Und keiner von den Kindern war in der Nähe und konnte sich kümmern. Ja, es war wirklich ein Glücksfall, dass sie in die Nähe ziehen konnte. Ihrer Tochter ist es nicht leichtgefallen, sie aus ihrer vertrauten Umgebung zu nehmen. Aber jetzt weiß sie: Die Mutter ist gut versorgt, ich kann sie besuchen und auch zwischendrin mal kurz bei ihr vorbeischauen.

Am Anfang sind auch die Enkelkinder noch gekommen. Aber eine Oma, mit der man nicht reden kann, die einen gar nicht erkennt…? So sitzt die Tochter bei ihr am Bett, mal in der Mittagspause, mal am Abend. So, wie es eben passt neben Familie und Beruf. Sie erzählt dann von Zuhause, von den Kindern, spricht vom Wetter – ohne zu wissen, was die Mutter noch erreicht. „Ich glaube, sie weiß auch nicht mehr, wer ich bin“, sagt sie. „Aber ich spüre, dass meine Nähe ihr gut tut“. In der letzten Zeit ist es schwer geworden, ihre Hand zu nehmen. Die Finger sind oft steif und verkrampft. „Ich habe versucht, ihre Hand zu öffnen, die Finger vorsichtig auseinander zu ziehen“, sagt sie. „Aber du glaubst gar nicht, mit welcher Kraft sie festhält. Dann habe ich einfach meine Hand um ihre Hand gelegt, sie gewärmt und gehalten, mehr nicht. Und dann, stell dir vor, dann hat sie sich ganz langsam geöffnet. Ganz von alleine. Die Hand ging auf, wurde weich und beweglich, und ich konnte meine Hand in ihre Hand legen.“

Eine kostbare Erfahrung zwischen Mutter und Tochter.

Was hilft einem Menschen loszulassen? Wann kann ich entspannen und mich öffnen? Worte helfen nicht immer. Auch eigene Vorsätze oder Ratschläge von anderen taugen meistens nicht. Schon gar nicht, wenn ich merke: Jemand zieht und zerrt an mir. Eine Berührung kann gut tun und helfen, dass ich mich selber wieder spüre. Die Nähe eines lieben Menschen, der für mich da ist, ohne etwas zu wollen. Das Gefühl: Ich muss mich nicht selber halten, sondern ich werde gehalten. Früher war es die Mutter, die ihrer kleinen Tochter dieses Gefühl des Geborgenseins gegeben hat. Auf ihrem Schoß, in ihrem Arm, an ihrer Hand. Jetzt ist es die Tochter, die da ist und mit ihrer Hand der Mutter das Gefühl gibt: Du wirst gehalten, du darfst loslassen.

Beides ist für mich ein Bild für Gottes Hand. Auch wenn ich manchmal den Eindruck habe, ich muss alles alleine schultern und für die anderen da sein – da ist eine andere Ebene, ein Boden unter mir, wo ich gehalten bin. „Fürchte dich nicht“, heißt es beim Propheten Jesaja, „Ich bin mit dir. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit“. (Jesaja 41,10)