hr2 ZUSPRUCH
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Eine Sendung von

Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Mancherlei Freude

Mancherlei Freude

Vor mir liegt die Verlagsbeilage einer angesehenen Tageszeitung zum Thema „Freude“. Das Titelbild zeigt einen blauen Sommerhimmel, von ein paar flüchtigen weißen Wolken durchzogen. Ein vielversprechendes Bild. Freude für alle.

Im Innern freilich wird die Freude dann sehr schichtenspezifisch. Es geht um die Freude am Golfen, am Genießen, an der Kunst, am Wohnen, an der Macht, am Reisen – und um die Freude an Autos jener Marke, deren Werbung die ganze Beilage finanziert.

Verblüffend dabei der hohe Ton, in dem Freude hier besungen wird.

„Freude ist wie wir“ lesen wir unter dem Foto eines schnittigen roten Coupés.

„Sie nimmt sich alle Freiheit.“

Von einer schwarzen Limousine geht zwei Seiten weiter die Botschaft aus.

„Freude ist das, was uns wirklich bewegt.“

„Freude ist jung“ verbindet sich mit dem Bild eines offenem Cabriolet. „Freude weckt das Kind in uns. Sie wartet an jeder Ecke, hinter jeder Kurve. Wenn wir sie einmal entdeckt haben, lasst sie uns nicht mehr los...

Freude wird nie alt. Kein Wunder, denn sie beginnt jeden Tag auf Neue.“

Den Ton kennen wir doch! „Gottes Liebe ist jeden Morgen neu“ beten die Christen. Und sie bezeugen: Wenn wir sie einmal entdeckt haben, lässt sie uns nicht mehr los. Sie macht uns frei, verbindet mit Menschen, bewegt. Schenkt Kraft, die wir längst verloren glaubten...

Die Anleihen der Werbung bei der biblischen Botschaft sind unverkennbar. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will Euch erquicken“. Diesen Ton nimmt die Werbung auf. Von Geld, von Preisen ist dabei nirgendwo die Rede. Und doch weiß jeder: diese Freuden müssen teuer bezahlt werden.

Und in der Kirche? Wie wird dort von Freude geredet? Wird genug von Freude geredet?

Freude ist durchaus ein Wort, das in der Bibel ganz oft vorkommt. Ausgerichtet nicht auf ein Auto, sondern auf Gott.

„Siehe, ich verkündige Euch große Freude“ war die Botschaft der Engel zu Christi Geburt. Hier wurde ein überwältigendes Geschenk bekannt gemacht, nicht ein überragendes Produkt. Und dieses Verkündigen einer großen Freude dürfen wir uns nicht nehmen lassen.

Ich möchte aber auch von den kleinen Freuden reden. Von den Alltagsfreuden, zu denen das Autofahren ja gelegentlich gehören kann. Sie wahrzunehmen, setzt einen Sinn für Dankbarkeit voraus.

Das hat mir einmal der Brief eines Hörers deutlich gemacht. Nicht mehr jung und auch nicht mehr ganz gesund, listete der Briefschreiber über 40 Situationen auf, in denen er Freude empfindet.

• ich freue mich, wenn die Schmerzen vorüber sind, schrieb er,

• ich freue mich aber auch, dass ich sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen kann

• dass ich noch alle Glieder habe

• dass Kühl- und Gefrierschrank immer gut gefüllt sind

• dass ich zum Klo kann ohne fremde Hilfe

• dass ich mich geliebt und angenommen fühlen darf

• dass in der Küche keine Ameisen sind,

• dass ich noch denken und mich erinnern kann

• dass Radio und Fernsehen manche gute Sendung bringen

• dass Wasser fließt, sobald ich aufdrehe, kalt und warm

• dass ich ohne Angst meine Meinung sagen und schreiben kann

• dass jeden Tag die Sonne aufgeht...

Sich eine solche „Freuden-Liste“ zu erstellen, kann an Kummer-Tagen außerordentlich hilfreich sein.

Es kostet nichts.