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Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin und Professorin für Religionspädagogik, Würzburg

Gott ist auch der Herr über Drachen, Feen und Zwerge

Gott ist auch der Herr über Drachen, Feen und Zwerge

Schon vor einiger Zeit bin ich auf sie aufmerksam geworden. Überall begegnen sie mir, diese phantastischen Wesen, die es gibt und eigentlich doch nicht gibt. Ich meine die Drachen. Sie faszinieren jung und alt, in Kinderbüchern und Romanen, in Computerwelten und sogar als Figuren, die man sich auf die Gartenmauer stellen kann. Ich habe mich gefragt, was sich mit ihnen verbindet, was sie Menschen bedeuten könnten.

Meine Antwort: Sie tragen eine Botschaft aus längst vergangenen Zeiten zu uns und damit wecken sie auch eine alte Sehnsucht. Es ist die Sehnsucht, ein Schöpfer zu sein.

Darauf kann man kommen, wenn man Kindern beim Spielen zuschaut. Sie nehmen den Drachen in die Hand und fliegen mit ihm durchs Zimmer, sie verteidigen ihr Terrain, sie speien Feuer mit ihnen und zum Schluss platzieren sie ihn auf einer Ecke des Kleiderschranks. Der Drache steht da, wacht über alles, was im Zimmer vor sich geht. Dabei gibt es nur wenige gute Drachen, die meisten sehen gefährlich und böse aus. Auf jeden Fall aber wecken diese Drachenfiguren Kräfte. Die Kinder spüren mit diesem mythologischen Tier in der Hand, wie lebendig sie selbst sind. Wenn es nötig ist, wagen sie dann auch ein Kämpfchen.

Zugegeben, wenn man kein Fantasy-Fan ist, wird einem das alles fremd vorkommen. Man kann sich auch fragen, ob hier nicht einfach wieder der Kampf des Guten gegen das Böse gespielt wird. Mag sein, aber dann wäre man doch zu schnell fertig mit dem populären Phänomen der Drachen.

John R. R. Tolkien hat den viel gelesenen Roman „Der Herr der Ringe“ geschrieben. Er hat diese literarische Fantasy-Welt bereits in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erschaffen. Als Professor für Literaturwissenschaften wusste er: In Mythos und Märchen setzen Menschen sich auf phantastische Weise mit ihrer Realität auseinander. Die Phantasie ist aber keine von der Realität abgekoppelte zweite Wirklichkeit, sondern sie ist ein Teil der Realität. Sie ist für Tolkien sogar eine Gabe Gottes. Mit der Phantasie können Menschen schöpferisch werden. Das gehört zum Menschsein dazu. In der Bibel heißt es: und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. (Gen. 1, 28). Das heißt: der Mensch wurde von Gott erschaffen. Das heißt aber auch: Der Mensch ist ebenfalls ein Schöpfer. Tolkien nennt ihn Zweitschöpfer. Und in diesem Sinne spricht er davon, dass Gott auch der Herr über Drachen, Elfen und Zwerge ist.

Die Phantasie ist eine Gabe Gottes. Sie hilft dem Menschen, sich nicht davon einfangen zu lassen, was angeblich harte Fakten sind.

Wenn ich im Kinderzimmer oder auch im Gartencenter einem Drachen begegne, muss ich jetzt immer schmunzeln. Sie sind für mich zum Zeichen geworden. Genau genommen waren sie schon immer Zeichen. Zeichen für die Sehnsucht, in meiner Welt schöpferisch zu sein. Denn ich bin ein Ebenbild Gottes.