Schuster, bleib bei deinen Leisten
„Schuster, bleib bei deinen Leisten“ – eine bekannte Redewendung, sicher kennen Sie diese auch. Als der berühmte griechische Maler Apelles - er lebte um 350 v. Chr. - eines seiner Bilder fertig gemalt hatte, stellte er es öffentlich aus. Er versteckte sich in der Nähe, um unbemerkt die Meinung der Betrachter zu erfahren. Ein Schuster meinte, auf dem Bild sei ein Schuh nicht richtig gemalt. Diese Kritik fand Apelles berechtigt. Er korrigierte das Bild. Am nächsten Tag kam der Schuster wieder. Diesmal kritisierte er die Form der Beine, die Bekleidung und noch mehr. Das ließ sich Apelles nicht gefallen, trat aus seinem Versteck hervor und rief: "Schuster, bleib bei deinen Leisten!" Was wollte der Maler damit sagen? Der Leisten ist die Modellform des Schusters, die er benutzt, um Schuhe anzufertigen. Meist besteht sie aus Holz. Der Maler wies den Schuster also darauf hin, dass er als Fachmann die Darstellung der Schuhe kritisieren dürfe - nicht aber den Rest einer Figur. Denn davon verstehe er als Schuster nichts.
Heute wird die Redensart "Schuster, bleib bei deinen Leisten!" im übertragenen Sinne gebraucht. Man verwendet sie, wenn jemand etwas tut oder sagt, obwohl er gar keine Kenntnisse auf dem jeweiligen Gebiet hat. „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ – die Redewendung fällt mir auch ein, wenn ich im Evangelium des heutigen Sonntags bei Lukas von Jesus lese. Zuerst wird erzählt, dass er predigt. Er lehrte das Volk vom Boot aus. Und das konnte er. Die Leute drängten sich in Scharen um ihn. Alle Welt wollte das Wort Gottes hören – so schreibt es auch der Evangelist. Ein guter Prediger war Jesus sicher. „Schuster, bleib bei deinen Leisten.“ Vom Fischen nämlich, davon scheint er nicht viel zu verstehen. Denn er trifft im Evangelium auf die müden und enttäuschten Fischer am See Genezareth, die die ganze Nacht nichts gefangen hatten. Ihnen macht er einen neuen Vorschlag, es nochmals zu versuchen. Und spätestens hier werden erfahrene Fischer sagen, der scheint ja gar keine Ahnung zu haben. Denn jeder Fischer wusste, dass es bei hochstehender Sonne Unsinn ist, die Netze auszuwerfen. Nur bei Dunkelheit oder in den frühen Morgenstunden war mit Erfolg zu rechnen. Aber jetzt, so spät, zu fortgeschrittener Stunde. Da werden die Netze schon gewaschen. Da richtet man schon alles für den nächsten Tag her. Für heute ist nichts mehr zu erwarten. Aber Jesus wollte es anders.
Musik: J.S. Bach - Suite h-Moll, Nr. 7 Badinerie - The English Concert, Ltg. Trevor Pinnock
Mit leeren Händen
„Fahrt hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“. So spricht Jesus zu Petrus und seinen Kollegen. Die ganze Nacht haben sie gefischt und nichts gefangen. Verzweifelt berichtet Petrus dem Herrn: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen, aber auf deine Worte wollen wir es nochmals versuchen“:
Oftmals sind wir wie Simon Petrus und seine Fischerkollegen. Wir arbeiten tagelang, jahrelang und lebenslang, aber am Ende stehen wir wie Petrus und seine Freunde, ohne Ergebnis da, verzweifelt, traurig, erfolglos. Verzweifelt und ermüdet spricht jeder am Ende: „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen“. Wir haben lange versucht und jahrelang gekämpft, unsere Ehe zu retten, aber alles war vergeblich, wir konnten uns nicht mehr aushalten, wir sind geschieden - so die Ehepaare.
Wir haben eine Werbekampagne gestartet, wir haben uns intensiv um neue Kunden bemüht, wir haben neue Konzepte entwickelt, aber unsere Auftragsbücher sind nahezu leer. Alle Mühe war vergeblich. So die Unternehmer und Firmen.
Wir sind mit unserem Kind in die Erziehungsberatung gegangen. Wir sind mit ihm zur Familientherapie gegangen. Wir haben es auf eine andere Schule geschickt. Am Ende haben wir es in die Schule für schwererziehbare Kinder getan. Unser Kind ist und bleibt immer Schulverweigerer. So sprechen manche Eltern.
Ich bin schon bei so vielen Ärzten gewesen, ich habe Naturheilverfahren, ich habe Ayurveda und andere medizinische Techniken ausprobiert. Ich habe Akupunktur, chinesische Medizin und diverse Diäten ausprobiert, aber nichts hat geholfen. So sprechen viele Kranke.
Ich habe versucht, mich gut zu konzentrieren, all meine Hausaufgaben rechtzeitig zu tun, aber trotz meiner Mühe und harten Versuchen konnte ich die Prüfungen nicht erfolgreich bestehen - so die Schüler.
Wie Simon Petrus und seine Fischerkollegen sprechen auch wir: „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Wir kennen das. Wir fühlen uns sinnlos, erfolglos, ermüdet, verloren, ausgenutzt und zerbrochen. Aber schließlich kam es in der biblischen Geschichte ganz anders. “Aber auf dein Wort will ich die Netze nochmals auswerfen“, sagt Petrus. „Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen.“
Musik: Robert Schumann - Kinderszenen, Nr. 10 Fast zu ernst - Vladimir Horowitz, Klavier
Menschenfischer
Und so kam es ganz anders. Wie ein Wunder. Volle Netze, zwei Boote gefüllt, dass sie unterzugehen drohten. Ja, wie ein Wunder. Aber trotzdem - keine Wundererzählung. Es ging Jesus nämlich nicht um ein Wunder. Dieser Textabschnitt aus dem Lukasevangelium, der heute in den Gottesdiensten verlesen wird, wird zu den Berufungserzählungen gerechnet und nicht zu den Wundern. Auch schon in der Lesung des heutigen Sonntags wird von einer Berufung berichtet. Hier nämlich von der Berufung des Propheten Jesaja. „Hier bin ich, sende mich!“ – so hat Jesaja dem Ruf Gottes geantwortet. Und von den Jüngern im Evangelium wird berichtet, nachdem sie die Boote ein letztes Mal an Land zogen, „ließen sie alles zurück und folgten ihm“.
Zwei Berufungserzählungen also und noch etwas verbindet die beiden Schrifttexte, Lesung und Evangelium: In beiden wird davon berichtet, dass der Nachfolge ein Schuldbekenntnis vorausgeht. Jesaja und Simon Petrus zeigen sich als Sünder, als Menschen mit Fehler und Schwächen. Vielleicht sahen sie sich nicht als würdig, von Gott, von Jesus berufen und in den Dienst genommen zu werden. Aber scheinbar war es genau das Gegenteil. Weil sie um ihre Schwächen wussten, hatte Gott Großes mit ihnen vor. Nach eigenen Maßstäben hätten sowohl Jesaja wie auch Simon Petrus sich nicht zu jenen gezählt, die Gott ruft und beruft. „Herr, geh weg von mir, ich bin ein Sünder.“ Simon konnte und wollte es nicht fassen. Wie kann Jesus ihn meinen? Und es ist wirklich erstaunlich. Nach welchen Maßstäben beruft Gott? Nach welchen Kriterien sucht er Menschen aus? „Das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen“ – so schreibt Paulus im ersten Korintherbrief. Und wirklich: Die ganze Heilige Schrift ist voller Erzählungen, wie es gerade die kleinen, unscheinbaren, ungelehrten und bescheidenen Menschen sind, welche dazu berufen werden, Gottes Wort in dieser Welt zu verkünden. Ich fürchte, dass sich da unsere Maßstäbe heute leider etwas verschoben haben. Jesus beruft Menschen und sie folgen. Was möchten diese beiden Schriftstellen uns Menschen heute sagen?
Gemeinsam träumen
Ich glaube, dass die Welt wieder mehr Propheten braucht, die sich senden lassen. „Hier bin ich, sende mich!“ Jesaja übergibt sich Gottes Plan und macht sich zu seinem Sprachrohr. Gott braucht Menschen, wo und in welcher Lebensform auch immer, die bereit sind, für ihn oder mit ihm „im Gepäck“ zu den Menschen zu gehen. Es braucht Menschen, die mit Visionen leben. Dom Helder Camara, der brasilianische Erzbischof von Olinda und Recife, lebte von 1909 – 1999. Er gründete die ersten kirchlichen Basisgemeinden in Brasilien und gehörte zu den profiliertesten Vertretern der Befreiungstheologie. Er sagte: “Wenn einer allein träumt, bleibt es ein Traum. Träumen wir aber alle gemeinsam, wird es Wirklichkeit.“ Nur wenn wir eine Vision haben von einer besseren Welt, einer besseren Kirche, einer besseren Gesellschaft, dann wird sich etwas in der Welt verändern!“
Ich meine, wir sollten nicht aufhören, um solche verschiedenen „Berufungen“ zu beten; wir sollten nicht aufhören, Menschen zu sein, die miteinander Visionen entwickeln. Wir sollten nicht aufhören, uns selbst zu fragen: Gilt die Frage Gottes in der Vision des Propheten vielleicht auch mir? Wozu ist jeder einzelne Mensch berufen? Berufung beginnt nicht erst bei der Berufung zu einem besonderen kirchlichen Dienst als Gemeindereferent*in und auch nicht erst in der Berufung zum Priester- oder Ordensberuf. Berufen sind alle Menschen. Wenn die Bibel von Berufung spricht, ist es grundsätzlich Gott, der Menschen ruft. Er tritt in eine besondere Beziehung mit dem Betreffenden und ruft ihn zu einer besonderen Aufgabe. Natürlich werden auch Menschen durch andere Menschen berufen, z. B. durch Propheten. Die sind aber wiederum von Gott beauftragt, sodass letztlich Gott der Handelnde bleibt. Mich selbst kann ich nicht berufen. Ich kann lediglich meine Berufung annehmen oder auch ablehnen. Wenn Gott Menschen beruft, gibt er ihnen einen bestimmten Auftrag. Doch es geht in erster Linie nicht darum, etwas zu tun. Vielmehr geht es um die Berufung zu der lebensrettenden Beziehung mit Jesus. Menschen werden durch die Frohe Botschaft eingeladen, ihr Leben Jesus anzuvertrauen und dadurch die Beziehung zu Gott für immer in Ordnung zu bringen. Habe ich diese Einladung angenommen, bin ich berufen. Christen sind also grundsätzlich Menschen, die von Jesus berufen sind.
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart - "Eine kleine Nachtmusik: Menuett" - Orpheus Chamber Orchestra
Auf Gott vertrauen
Auf reichen Fischfang zu hoffen, das ist in Kirche und Welt von heute ebenso wenig erfolgversprechend, als es damals für die Jünger am See Genezareth war. An leeren oder kaum gefüllten Netzen können wir nicht vorbeischauen. Leere oder kaum gefüllte Netze stehen sinnbildlich für Momente der Enttäuschung, der Resignation oder der scheinbaren Sinnlosigkeit von Bemühungen. In solchen Momenten neigen wir dazu, den Blick abzuwenden oder die Hoffnung aufzugeben. Doch Jesu Aufforderung, die Netze dennoch auszuwerfen, lädt uns ein, auf ihn zu vertrauen – gerade auch dann, wenn unsere menschlichen Erfahrungen oder Kalkulationen dagegensprechen. Es ist eine Einladung, sich nicht von äußeren Umständen oder dem sichtbaren Ergebnis entmutigen zu lassen, sondern im Vertrauen auf Gottes Wirken aktiv zu bleiben. Das Auswerfen der Netze wird zu einem Symbol für Glauben, Mut und Beharrlichkeit. Es erinnert uns daran, dass der Erfolg nicht immer in unserer Hand liegt, dass aber Gott durch unser Tun wirken kann – oft auf unerwartete Weise. Der Impuls ermutigt uns, trotz leerer Netze weiterzugehen, weil Gottes Möglichkeiten unsere begrenzten Perspektiven übersteigen. Und trotzdem fordert Jesus uns auf: Wirf die Netze aus. Nicht einpacken und aufhören. Nein, weitermachen und geduldig hoffen.
Viele Netze
Fischer sind ein gutes Beispiel dafür, dass der Erfolg letztlich geschenkt ist. Fischer können nur Netze auswerfen und warten. Geduldig, immer wieder. Fische lassen sich nicht in die Netze treiben. Der Erfolg ist Geschenk. In einer Welt, in der wir ständig mit knappen Ressourcen, Zeitdruck und leeren Versprechungen konfrontiert sind, ist die Erfahrung von Fülle ein seltenes, aber wertvolles Geschenk. Wenn die Netze voll sind – sei es symbolisch oder tatsächlich – bedeutet das, dass die Mühe, die Anstrengung und das Vertrauen Früchte tragen. Es ist eine Erinnerung daran, dass das Leben in seinen guten Momenten Überfluss schenken kann. Doch mehr noch als das sichtbare Ergebnis – volle Netze – ist es die Erfahrung dahinter, die zählt: die Geduld, die Zusammenarbeit, das Hoffen und das Loslassen. Es lehrt uns Dankbarkeit und Demut, denn die Fülle, die wir erleben, ist niemals selbstverständlich. Sie wird oft durch harte Arbeit, aber auch durch äußere Gunst und unvorhersehbare Umstände ermöglicht. Deshalb sollten wir nicht nur die vollen Netze feiern, sondern auch die Prozesse, die uns zu diesem Punkt gebracht haben. Sie schenken uns Vertrauen in das Leben und erinnern uns daran, dass manchmal das Warten und die Hingabe belohnt werden. Letztendlich sind volle Netze nicht nur ein Geschenk des Augenblicks, sondern eine Einladung, diesen Moment des Überflusses mit anderen zu teilen. Denn das wahre Geschenk der Fülle liegt im Teilen.
Das Evangelium motiviert und entlastet zugleich. Es macht deutlich, dass der Mensch Jesus den Ball zuspielen darf, so wie Simon es getan hat: „Weil du es sagst“. Nicht der Mensch ganz persönlich muss die Netze füllen. Jesus füllt sie. Jesus verlangt nicht, dass der Mensch ihm die Fische vorzählt und somit den Beweisen seines Erfolges vorlegt. Er erwartet lediglich Treue und Beständigkeit, immer wieder das Netz auszuwerfen. Den Erfolg selbst, schenkt er. Das soll Ermutigung sein, den Weg des Glaubens immer wieder zu wagen.
Musik: Edvard Grieg - Morgenstimmung aus der Peer -Gynt-Suite - Bjarte Engeset and Malmö Symphony Orchestra
Musikauswahl: Regionalkantor Ulrich Moormann, Fulda