hr2 MORGENFEIER
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Diez, Karlheinz

Eine Sendung von

Katholischer Weihbischof, Fulda

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Adventskranz mit drei brennenden Kerzen.

Der wahre Messias

Liebe Hörerinnen und Hörer,

zu meinen seelsorglichen Aufgaben gehören auch gelegentliche Besuche in Gefängnissen. Daran denke ich, wenn im heutigen Lesungstext von einem Gefängnis die Rede ist. Es ist das Gefängnis, in dem Johannes der Täufer eingesperrt ist. Mit unseren modernen Haftanstalten hat das Gefängnis von damals nichts zu tun. Das einzig Gemeinsame mit den heutigen Gefängnissen ist wohl die Tatsache, dass man damals wie heute nicht herauskommt.

Die enttäuschten Erwartungen des Johannes

Man wartet auf den Tag der Entlassung. Ich stelle mir das Gefängnis, in dem Johannes der Täufer saß, ein bisschen so vor wie im Ben Hur-Film: ein dunkler, kalter Raum, keine Fenster, kein Tageslicht. Menschen kauern auf dem Boden und sind angekettet. Blutig und schmutzig sind sie den Wachmännern hilflos ausgeliefert. Von Rechtsprechung keine Spur. Keine Termine mit dem Anwalt, keine Gerichtsverhandlung -einfach nur Willkür. Schaurig; da läuft es einem über den Rücken. 

Ein grausames Ende

Und auch bei der wichtigen und prägenden Figur, die uns im Advent immer wieder begegnet, kann es einem schaurig werden: Ich spreche von Johannes, dem Täufer. Sein Schicksal ist durch die Heilige Schrift bekannt. Sein Leben stand unter ganz guten Vorzeichen - es war zuerst ganz anders, so erwartungsfroh und warm. Seine Mutter Elisabeth und Maria, die Mutter Jesu, sind miteinander verwandt. Beide sind schwanger, sind in froher Erwartung, wie man so sagt. Beide freuen sich auf ihr Kind. Und beide bringen Söhne zur Welt, an denen sich die Menschen so sehr reiben, dass sie brutal sterben müssen. Jesus stirbt am Kreuz und Johannes wird enthauptet. Alles war so erwartungsvoll und dann das grausame Ende.

Das Evangelium des 3. Advents

Doch hören wir zunächst das Evangelium dieses 3. Adventssonntags:

„Johannes hörte im Gefängnis von den Taten des Christus. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet. Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.

Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Siehe, die, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige. Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: sogar mehr als einen Propheten. Dieser ist es, von dem geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bahnen wird. Amen, ich sage euch: Unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer, doch der kleinste im Himmelreich ist größer als er.“ (Mt 11, 2-11)

Musik: Felix Mendelssohn Bartholdy – Regensburger Domspatzen / Georg Ratzinger – Kyrie eleison 

Die Komplexität des Evangeliums

Zugegeben, dieses Evangelium ist ganz schön kompliziert. Es hat wenig zu tun mit der besinnlich-fröhlichen Adventszeit der modernen Gesellschaft. Es führt gedanklich ins Gefängnis. Es steckt richtig viel drin in diesem Evangelium. Vieles ist so miteinander verflochten, dass es eine Lese- bzw. Hörhilfe braucht. Viele Fragen und Unklarheiten sind darin enthalten: Wie steht Johannes zu Jesus? Was ist die Rolle des Johannes? We steht Jesus zu ihm? Man muss es aufdröseln - Schritt für Schritt, Person für Person. 

Johannes´ Zweifel im Gefängnis

Zuerst geht es Johannes um Jesus. Johannes sitzt im Gefängnis - so wissen wir aus dem Lukasevangelium (vgl. Lk 3, 1-20) -, weil er den damaligen Machthaber Herodes wegen seines ausschweifenden Lebenswandels öffentlich kritisiert hat. Das hat ihn schließlich ins Gefängnis gebracht. Und die ganze Zeit hofft er, dass Jesus sich als der erwartete Messias zu erkennen gibt. „Bereitet den Weg des Herrn“, so hat er in der Wüste von Judäa gerufen und „kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe.“ (vgl. Lk 3) Und plötzlich wird die Person Jesu für ihn zum Problem. Johannes hat offenbar Zweifel bekommen, ob Jesus wirklich der ersehnte Messias ist. Der Täufer hat sich sein Handeln wohl anders vorgestellt. 

Denken wir an sein Bild von der Axt, die die unguten Bäume umlegt. Dieses Bild im Matthäusevangelium steht für das von Johannes erwartete Strafgericht des Messias. Johannes hat gemeint, mit dem Messias verschwindet plötzlich alle Ungerechtigkeit der Welt. Und vielleicht, so denkt er, wird der Erlöser ihn auf wundersame Weise aus dem Gefängnis holen. Innerlich aufgewühlt schickt er seine Jünger los, um Näheres in Erfahrung zu bringen. Er möchte unbedingt wissen, was da gerade in Galiläa vor sich geht. Und seine Leute fragen Jesus direkt und frei heraus: „Bist du der Messias?“ Jesus sieht sich mit dieser Frage konfrontiert, aber er antwortet nicht direkt. 

Zeichen der Heilszeit 

Stattdessen verweist er auf das, was in Galiläa durch seine göttliche Kraft vor aller Augen geschieht. Dinge, die es so noch nie gegeben hat: Blinde, Lahme, Aussätzige und Taube werden geheilt und sogar Tote leben wieder. Den Armen gilt die frohe Botschaft; sie stehen plötzlich im Mittelpunkt der Gesellschaft. Und das alles durch das Wirken Jesu! Das Leben aus dem Willen Gottes heraus zeigt sich an den Früchten, die Jesus hervorbringt. Für die Menschen damals ist die wundersame Heilung von Krankheiten ein Zeichen der Heilszeit, die mit dem ersehnten Messias anbricht. Dass Jesus hier so deutlich sein Handeln schildert, dient also als Beweis seiner messianischen Sendung. Und dann ist da noch der Satz: „Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“

Seligpreisung und Kreuzesnachfolg

Die Seligpreisungen sind normalerweise positiv formuliert. So ist es bei den bekannten Seligpreisungen aus der Bergpredigt: Selig ist, wer dieses oder jenes tut oder es ersehnt - ihm oder ihr gilt die Verheißung. Hier ist es anders: Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt. Für den Evangelisten Matthäus bedeutet „keinen Anstoß nehmen“ mehr, als Jesus neutral gegenüberzustehen. Es bedeutet, die Botschaft Jesu so fest in sich aufzunehmen, dass sie Wirkung zeigt im eigenen Leben, im Verhalten zu den Mitmenschen, sogar bis zur Breitschaft der Kreuzesnachfolge. „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert.“ (Mt 10, 38)

Musik: Georg Friedrich Händel – Wassermusik – Berliner Philharmoniker /Rafael Kubelik – Menuet 

Was möchte Jesus von den Menschen über Johannes hören?

Der heutige Evangelientext kennt ein zweites Thema. Nun geht es Jesus um Johannes. Die Jünger des Johannes sind gerade gegangen. Nun wendet sich Jesus an die um ihn Versammelten. Er fragt sie, warum sie zu Johannes gekommen sind - was haben sie in ihrer Neugier sehen wollen. Natürlich wollen sie wissen, wie Johannes so ist. Haben sie einen Menschen erwartet, vergleichbar mit einem Schilfrohr, wie es gerade im Evangelium zu hören war? Die Metapher des Schilfrohrs steht hier für Wankelmütigkeit, die Johannes eben nicht hat. Er bezieht klar Stellung. Er spricht Ungerechtigkeiten an und wirft den Mächtigen seiner Zeit vor, sich nicht mehr an die Gebote zu halten. So wird Johannes zum Stein des Anstoßes: Er steht fest und hat kein – wie man heute so sagt – „bewegliches Rückgrat“, eben anders als ein Schilfrohr. Und er ist auch kein Mann in feiner Kleidung. 

Das Profil des Täufers

Wir wissen aus der Heiligen Schrift, wie Johannes aufgetreten ist: Er trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel, hat sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt. Das ist alles andere als das herrschaftliche Auftreten eines Boten. Johannes war das Äußere ziemlich egal; er brannte für den kommenden Messias und hat alles gegeben, um die Menschen zur Umkehr aus ihrer Schuld zu bringen. „Fein Gekleidete“, so sagt Jesus, findet man in den Palästen der Könige. Damit setzen sich Jesus selbst und auch Johannes klar von den Machthabenden ihrer Zeit ab. Beide leben in keinem Palast, beide fühlen sich zu den Armen hingezogen.

Johannes als verheißener Bote

Aber was sollen diese Fragen Jesu nach den Motiven, warum die Menschen Johannes in der Wüste aufgesucht haben? Mit seinen auf den ersten Blick irritierenden Fragen möchte Jesus die Bedeutung des Rufers in der Wüste herausstellen. Denn viele sind ja offensichtlich den Weg in die Wüste gegangen, um den vermeintlichen Propheten Johannes zu sehen. 

Diese Erwartung der Volksmenge bestätigt Jesus und macht zugleich deutlich: Johannes übertrifft die Erwartungen sogar. Er ist mehr als ein beliebiger Prophet. Mit seinen Worten ruft Jesus in Erinnerung: Johannes ist der, von dem der Prophet Maleachi berichtet: „Seht, ich sende meinen Boten; er soll den Weg für mich bahnen.“ (Mal 3, 1) Und beim Propheten Jesaja steht geschrieben: „Eine Stimme ruft: Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste! Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott!“ (Jes 40, 3

Musik: Georg Friedrich Händel – Wassermusik – Berliner Philharmoniker /Rafael Kubelik – Menuet 

Der größte unter den Propheten

Mit diesen Verweisen auf die alttestamentlichen Propheten legitimiert Jesus den Täufer Johannes sozusagen als den, der vorausgesagt worden war. Es gibt keinen größeren Propheten als Johannes den Täufer. Und mehr noch: Unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten als Johannes. Das kann schon verwundern, denn immerhin ist Jesus selbst von einer Frau geboren worden. Was soll das also? Stellt sich der Messias, der Sohn Gottes, unter Johannes? Das kann es nicht sein.

Deutung und Formulierung

Von den Exegeten kann man lernen: Die Formulierung „aufgetreten“ beschreibt ausschließlich das Wirken eines Propheten. Und deshalb gehört Jesus selbst hier nicht in die Reihe eines „von einer Frau Geborenen“, die sich nur auf die Propheten bezieht. Johannes ist DER Prophet schlechthin; so beschreibt ihn also Jesus.

Mit dem folgenden Satz kommt Jesus noch zum zentralen Punkt seiner Verkündigung. „Der Kleinste im Himmelreich ist größer als der Prophet Johannes.“ Jesu Maßstab ist das Himmelreich. Es ist Ziel und Erwartungsort für alle Menschen. Das Himmelreich ist die ersehnte Vollendung, die Hoffnung, auf die ein Leben hingelebt werden kann. 

Hoffnung des Himmelreichs

Diese Hoffnung schließt ein, sich nicht von den Erfahrungen der Ohnmacht gegenüber Terror, Krieg und Gewalt lahmlegen zu lassen. Es geht um die adventliche Erwartung auf Gott, der alles kann, alles vermag, alles fügt.

Das drückt sich aus an diesem 3. Adventssonntag GAUDETE - übersetzt heißt das „Freut euch“. Er steht für die sehnsuchtsvolle Hoffnung und Freude, eines Tages Gott zu begegnen und in ihm alle Erfüllung zu finden. Für diesen Gott der Liebe und des Lebens hat Johannes alles gegeben. Von ihm hat er alles erwartet. Man darf gewiss sein: Gott hat ihm die Fülle des Lebens geschenkt. Das besondere Evangelium dieses Sonntags begann mit dem Blick in ein Gefängnis und endet so mit einer großen Hoffnung. 

Glaube als Antwort im Advent

Das Evangelium dieses Sonntags verdeutlicht aber, dass Glaube mehr ist als ein Für-wahr-Halten. Jesus beantwortet die Frage der Johannesjünger, ob er der erwartete Messias sei, nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“. Die Fragenden sollen erkennen, dass Gottes Heilsplan erfüllt ist. Dazu braucht es aber die persönliche Annahme des in Jesus angebotenen Heils. Dabei entscheidet sich auch, was einem Weihnachten gegeben kann und welche Bedeutung der Advent hat.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen einen hoffnungsvollen und freudigen Adventssonntag. 

Musik: Georg Friedrich Händel – Wassermusik – Berliner Philharmoniker /Rafael Kubelik – Allegro 

Musikauswahl: Regionalkantor Oskar Roithmeier, Marburg