hr2 MORGENFEIER
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Wöllenstein, Andrea

Eine Sendung von

Evangelische Pfarrerin, Marburg

Auferstehung schmecken

Auferstehung schmecken

Der erste Sonnentag nach einem trüben Winter. Im Nu füllt sich die Fußgängerzone. Manche trinken ihren Kaffee schon draußen, eingewickelt in warme Fleecedecken. Auf dem Nachhauseweg sehe ich, wie Jugendliche im Garten die „Frisbee-Saison“ eröffnen. Die Sonne hat die Lebensgeister geweckt.
Der erste Spaziergang nach einer Zeit der Krankheit. Aufstehen, rausgehen, sich bewegen – wie gut das tut! Den feuchten Waldboden riechen, spüren, wie der Wind über die Haut streicht. Endlich wieder lebendig!
Erste Wahlen in Kenia nach dem Inkrafttreten einer neuen Verfassung. Viele Menschen sind bereits in der Nacht aufgestanden, um rechtzeitig am Wahllokal zu sein. Die Hoffnung auf einen Neubeginn, auf die Befreiung von Korruption, Armut und Gewalt hat sie auf den Weg gebracht.
Erfahrungen von Aufstehen ,von Auferstehung, noch bevor der Kalender Ostern angezeigt hat. „Kleine Ostern“ nennt die Dichterin Carola Moosbach solche Erfahrungen:

Kleine Ostern
Steine
vom Herzen gerollt
Eis
aus der Seele getaut
Hunger
in Brot verwandelt
Mauern durchbrochen
zum Licht

Musik

Ostern ist das erste und wichtigste Fest der Christenheit. Dabei ging es beim ersten Ostern in Jerusalem alles andere als festlich zu. Verwirrt und verunsichert kommen die Frauen am Ostermorgen vom Grab und erzählen, was sie erlebt haben. Keiner glaubt ihnen. „Es erschienen ihnen diese Worte, als wär’s Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht“. berichtet der Evangelist Lukas. (Lukas 24,11) Kein Jubel, keine Osterfreude. Im Gegenteil. „Was sollen wir noch hier?“ fragen sich zwei der Jünger. „Warten, bis es uns auch noch an den Kragen geht?“ Nein, sie wollen wieder nach Hause. Weg von dem Ort, an dem sie so viel Schreckliches erlebt haben. Wo sie hilflos mitansehen mussten, wie Jesus gekreuzigt wurde und mit ihm die Zukunft, von der sie geträumt hatten. Sie werden gehen und einen Schlussstrich ziehen unter dieses traurige Kapitel.

Das Laufen tut gut. Zwei Wegstunden sind es bis nach Emmaus. Beim Gehen kann man sich von der Seele reden, was der Kopf nicht begreifen kann. Ganz ins Gespräch vertieft merken sie nicht, dass ein Fremder zu ihnen gestoßen ist. Schweigend geht er neben ihnen her. Hört zu, wie ihre Fragen und Gedanken hin und her gehen und immer wieder bei der gleichen Frage ankommen. Da mischt sich der Fremde in ihr Gespräch ein: „Was sind das für Dinge, die ihr verhandelt?“ Die beiden bleiben stehen. Überrascht über den unbemerkten Begleiter und über seine Frage. „Bist du der einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen geschehen ist?“ „Was denn?“ will er wissen. „Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben.

Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde.“

Jetzt ist es heraus – ihre Enttäuschung, ihr Schmerz. Die hoffnungslose Einsicht: Es ist aus. Wir haben uns geirrt. Drei Tage sind seit dem vergangen – aber was sind schon drei Tage?! „Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.“ Einen Moment wird es still zwischen den Wanderern. Alles ist gesagt. Leer wie das Grab so fühlen sie sich selber.Da ergreift der Fremde noch einmal das Wort. Er, für den sie blind waren, beginnt, ihnen die Augen zu öffnen. Er rüttelt sie regelrecht wach:

„O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!
Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ Und er beginnt, ihnen die Heiligen Schriften auszulegen. Die beiden hören ihm zu und merken nicht, wie die Zeit vergeht. Als sie in Emmaus ankommen, ist es ist Abend geworden. Sie bitten den Fremden, bei ihnen zu bleiben. Im Haus bereiten sie etwas zu essen vor, decken den Tisch. Und dann, als sie zusammen zu Tisch sitzen, als sie miteinander essen, da geschieht es. In dem Alltäglichen, was sie eigentlich immer tun: Brot brechen, danken und teilen – da erkennen sie, wer mit ihnen am Tisch sitzt: „Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte und brach`s und gab es ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn. Er aber verschwand vor ihren Augen. … und sie standen auf zu derselben Stunde und kehrten zurück nach Jerusalem.“

Die Erfahrung am Tisch hat ihnen die Augen geöffnet und ihnen geholfen, aufzustehen. Aufzuerstehen aus ihrer Traurigkeit und Lähmung.

Musik

„Aufstehen“ und „auferstehen“ ist im Neuen Testament das gleiche Wort. Den religiösen Begriff „Auferstehung“, den wir im Deutschen kennen, gibt es dort nicht. Auferstehung ist das, was mich aufstehen lässt. So haben es die Menschen damals am ersten Osterfest erfahren. Sie haben gemerkt: Die Kraft, die wir gespürt haben, wenn wir mit Jesus zusammen waren - wie er geredet hat, wie er uns begegnet ist, wie er geheilt und geholfen hat - diese Kraft ist lebendig. Und sie ist in jedem von uns. Der Auferstandene ist in uns mit seiner Kraft. Ganz nah, ganz lebendig, ganz stark. Diese Erfahrungen haben sie weitererzählt und später aufgeschrieben in den verschiedenen Ostergeschichten der Evangelien.

Das Interessante an diesen Geschichten ist: Sie spielen alle mehr oder weniger im Alltag der Menschen. Der Auferstandene erscheint ihnen nicht im Tempel oder an einem besonders heiligen Ort, sondern beim Essen, an ihrem Küchentisch. Oder bei der Arbeit, als sie sie wieder fischen am See Genezareth. Genauso hatte es der Engel den Frauen am Grab gesagt: „Er wird vor euch hingehen nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen.“ (Matthäus 28,7) Galiläa ist ihr Zuhause, da kommen sie her. Sie müssen nicht in die Ferne reisen, um ihn zu finden. Sondern der Engel sagt: „Geht nach Hause, dort erwartet euch der Auferstandene.“

So gesehen sind die Auferstehungsgeschichten Alltagsgeschichten, in denen die Menschen selber aufstehen, gestärkt und ermutigt. So wie die beiden Jünger aus Emmaus: Mit der Botschaft des Lebens gehen sie zurück an den Ort des Todes. Was sie für das Ende gehalten haben, wird zu einem neuen Anfang.

Auferstehung schmecken, zu Hause, am Küchentisch – so hat es auch Bettina erlebt. Innerhalb von elf Monaten hat sie zwei ihrer Kinder verloren. Die ganze Familie war wie betäubt. Heute sagt sie: „Ich weiß nicht, wie ich diesen Schmerz überlebt habe.“ Sie erzählt mir, wie damals eine Freundin gekommen ist mit dem Angebot: „Ich koche für Euch!“ Ihr war nach allem anderen zumute als nach Essen. Aber am Montagmittag stand die Freundin vor der Tür mit einem großen Korb. In diesem Korb war ein Vier-Gänge-Menu, das sie zu Hause vorbereitet hatte. Sie hat für die Familie den Tisch gedeckt mit Decke, Kerzen und Blumen und dann eine Köstlichkeit nach der anderen hervorgeholt. „Eigentlich hatten wir gar keinen Appetit“, sagt Bettina, „wir wollten nur nicht unhöflich sein“. Als sie dann um den Tisch saßen, kamen zaghaft Gespräche auf: Über das Essen, über die Zutaten. Nicht viel, aber immerhin.

Jeden Montag ist die Freundin gekommen mit ihrem Korb. Viele Wochen. Schon bald war es keine Höflichkeit mehr, sondern alle haben sich auf das gemeinsame Essen gefreut Und mit dem Geschmack von frischem Salat, mit der Wärme der Suppe, der herben Süße des Mousse au Chocolat und der Vielfalt der Speisen und Rezepte ist auch wieder etwas vom Geschmack des Lebens in das Trauerhaus gekommen. Etwas, das ihnen geholfen hat, aufzustehen, aufzuerstehen.

Musik

Wo erfahren wir heute, in unseren Lebensgeschichten, die Kraft der Auferstehung? Ich denke an ein altes Ehepaar. „Wir sind dankbar für jeden Morgen, an dem wir aufstehen können“, sagen sie. „Wenn kein Pflegedienst kommen muss und wir uns alleine helfen können.“

Ich spreche mit einer Freundin, die längere Zeit krank gewesen ist. Körperliche Beschwerden und eine tiefe Erschöpfung hatten dazu geführt, dass sie mehrere Wochen krankgeschrieben war. „Weil ich eine Weile aus meinem Alltagsgeschäft heraus genommen war, konnte ich Dinge in meinem Leben anschauen, die ich sonst weg geschoben habe,“ sagt sie im Rückblick. „Dabei habe ich gemerkt: Lebendig sein heißt nicht nur lustig sein. Ich bin vielleicht gerade dann lebendig, wenn ich Schmerzen fühle und zulasse, auch wenn es weh tut. In unserer Kultur verbinden wir Leben immer mit Stärke und Kraft. Aber es gibt auch die andere Seite. Jede Lebenssituation, auch eine Krankheit, hat Geschenke im Gepäck. Es braucht nur manchmal braucht etwas Zeit, um sie zu entdecken und auszupacken. Heute kann ich sagen: Meine „Auferstehung“ hat schon im Leiden angefangen. Als ich das Dunkle als Teil von mir zugelassen, da wurde mir leichter. Wo vorher alles wie zugeschnürt war, habe ich meine Lebendigkeit neu gespürt.“

Die Kraft der Auferstehung erkenne ich auch im Engagement von Grace Mutungu in Nairobi. Seit vielen Jahren kümmert sie sich um Aidswaise, die ohne fremde Hilfe verloren wären. Von der Regierung konnte sie in den letzten Jahren nichts erwarten. Darum arbeitet Grace beim nationalen Kirchenrat von Kenia und vermittelt den Jugendlichen Stipendien des deutschen Vereins „Ausbildungshilfe – Christian Education Fund“, die ihnen ermöglichen, eine Ausbildung zu machen. An Feiertagen, wie an Ostern, ist ihr Haus voll. Die Schulen haben dann geschlossen, und wer nicht weiß, wohin, der ist Gast bei Grace und ihrer Familie. Sie sagt: „Die jungen Leute sollen die Kraft spüren, die in ihnen ist. Und mit Gottes Hilfe werden sie ihren Weg machen.“

Auferstehung spüre ich in der Kraft, die mich aufstehen lässt. Manchmal ist das ein flüchtiger Moment – ein Sonnenstrahl, der ins Herz geht, zarte Frühlingsblüten, die dem Auge und der Seele gut tun, eine Melodie, eine Begegnung und ich fühle mich gestärkt und belebt. Manchmal ist Auferstehung ein Prozess, wenn langsam die Kräfte wiederkommen und ich wieder fühlen kann: Ich bin lebendig! Ich möchte sie suchen und bewusst wahrnehmen, die kleinen und großen Auferstehungen mitten im Leben. Denn Suchen gehört schließlich zu den schönsten Beschäftigungen an Ostern, nicht nur für Kinder und ihre Eltern. Lucia Sutter Rehmann beschreibt diese Suche so:

WIR SIND AUF DER SUCHE NACH DER KRAFT,
DIE UNS AUS DEN HÄUSERN,
AUS DEN ZU ENGEN SCHUHEN
UND AUS DEN GRÄBERN TREIBT.
AUFSTEHEN UND MICH DEM LEBEN IN DIE ARME WERFEN –
NICHT ERST AM JÜNGSTEN TAG,
NICHT ERST, WENN ES NICHTS MEHR KOSTET
UND NIEMANDEM MEHR WEH TUT.
SICH AUSSTRECKEN NACH ALLEM,
WAS NOCH AUSSTEHT,
UND NICHT NUR NACH DEM ZUGEBILLIGTEN.
UNS ERWARTET DAS LEBEN.
WANN, WENN NICHT JETZT?
(LUZIA SUTTER REHMANN)