hr1 ZUSPRUCH
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Seeger, Andrea

Ein Sendung von

Evangelische Theologin, Oberursel

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Herzensangelegenheiten

Anne ist meine Freundin. Und sie ist Perfektionistin. Ihre Ansprüche an sich selbst sind hoch. Das setzt sie kräftig unter Druck. Dazu kommt die Erwartungshaltung von außen, von Freundinnen, Kollegen, der Chefin, der Familie.

Der Druck ist zu groß

Ständig neue Herausforderungen im Job, Überstunden, daneben Kuchen backen für den Sportverein ihrer Kinder, Gastgeberin sein, Familienkalender führen, Geschenke kaufen. Es gibt immer ein Höher, Schneller, Weiter – Selbstoptimierung ist das Wort der Zeit. Soziale Medien verstärken den Druck, Menschen vergleichen sich immerzu, die Welt ein schöner Schein.

Für Anne wird der Druck irgendwann zu groß. Sie kann dem nicht mehr standhalten, fühlt sich fremdbestimmt. Sie meldet sich krank. Ich versuche an sie heranzukommen – vergeblich. Endlich darf ich sie dann doch besuchen. Es geht ihr schlecht. Sie hat das Gefühl, versagt zu haben, während alle ihre Freundinnen putzmunter seien.  

Was am Ende des Lebens zählt sind unsere Beziehungen und Herzensangelegenheiten

Einspruch, Anne! Ich bin längst nicht immer putzmunter, fühle mich oft erschöpft. Zu viele Baustellen, zu viel Stress. Und ich werde grundsätzlich, versuche von dem zu sprechen, was mir hilft: mein Glaube. Als Christin vertraue ich darauf, dass Gott die Menschen liebt, egal, was sie leisten oder nicht leisten, wie dick oder dünn sie sind. Gerade will ich konkreter werden, da kommt Jörg rein, Annes Mann.

Nach der kurzen Unterbrechung setze ich noch mal anders an, mit einem Zitat: „Am Ende des Lebens zählt nicht, wie viele Arbeitsstunden du geleistet hast, sondern welche Beziehungen du gepflegt hast und wie viel Zeit du mit deinen Herzensangelegenheiten verbracht hast.“

Was ist deine Herzensangelegenheit?

Jörg steigt sofort drauf ein und fragt: Was ist denn deine Herzensangelegenheit, Anne? Sie antwortet: Es ist vielleicht banal, aber ich wünsche mir Zeit nur für mich, ein paar Stunden in der Woche, damit ich mal wieder in Ruhe ein Buch lesen kann. Jörg findet, dass ließe sich machen – ohne großen Aufwand. Er wird ab sofort das Kochen übernehmen, das macht er nämlich gerne, seine Frau eher nicht. Ein einfacher Vorschlag, aber ganz und gar nicht banal. Als ich mich verabschiede, ist mir warm ums Herz.