Erinnerung an die Endlichkeit des Lebens
Kunstvolle Ornamente an Decke und Wand, auch Darstellungen aus der Bibel, ein großer Leuchter, der von der Decke hängt, in der Mitte ein Altar – an sich keine besondere Ausstattung für eine Kapelle. Das Besondere ist das Material, aus dem all das gemacht ist: Knochen von Toten, genauer gesagt: von toten Kapuzinern.
Sie wollten auf die Vergänglichkeit des Lebens hinweisen
In Rom kann man diesen Ort besuchen: neben der Kapuzinerkirche gibt es ein Museum mit sechs kleinen Kapellen, die sogenannte Kapuzinergruft. Hier sind diese bizarren Kunstwerke zu besichtigen. In den sechs Kapellen sind die Knochen von 3700 Kapuzinern zu Kunstwerken verarbeitet. Diese Kapuziner sind zwischen 1500 und 1870 gestorben. In diesem langen Zeitraum sind die Kapellen entstanden. Mönche haben die Knochen ihrer verstorbenen Mitbrüder so kunstvoll arrangiert, um auf die Vergänglichkeit des Lebens aufmerksam zu machen. Über dem Eingang steht in Latein folgender Spruch: „Was ihr seid, das waren wir. Was wir sind, das werdet ihr.“
Die Kapuzinergruft hat etwas sehr Bizarres
Ich war schon oft in Rom, aber dieses Jahr im Oktober habe ich das erste Mal diese Gruft besichtigt. Es hatte etwas sehr Bizarres, Unwirkliches. Aber irgendwie hat es mich auch nachdenklich gemacht. Heutzutage wäre ein solcher Umgang mit menschlichen Knochen eher schockierend. In den über 300 Jahren der Entstehung dieser Kapellen hatte man offensichtlich keine Probleme damit. Vielleicht hat es ja auch damit zu tun, dass damals der Tod viel mehr zum Leben dazu gehörte. Und damit auch die Toten selbst und ihre sterblichen Überreste. Und man begriff das Ganze gleichzeitig als Mahnung an die noch Lebenden: Ich weiß, dass ich sterblich bin, es wird mir durch diese Kapellen jeden Tag vor Augen geführt.
Ich lebe, als gäbe es das Ende meines Lebens nicht
In meinem Alltag lebe ich oft so, als gäbe es dieses Ende meines Lebens nicht; alles, was mir hier lieb und teuer ist, kann plötzlich vorbei sein. Und damit auch alles, was mir so wichtig, unaufschiebbar und dringend notwendig erscheint. Durch den Gedanken bekommen die Dinge wieder ihren richtigen Stellenwert. Ich kann mich auf das konzentrieren, was wirklich zählt, die Beziehungen zu anderen Menschen zum Beispiel.
Lernen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren
Der Besuch in der Kapuzinergruft in Rom hat mich nachdenklich gemacht. Natürlich bin ich ein Kind meiner Zeit und möchte nicht, dass meine Knochen mal irgendwann als Ornament oder Leuchter in einer Kapelle verarbeitet werden. Trotzdem tut es mir gut, mich immer mal wieder daran erinnern zu lassen: dein Leben ist endlich, entspann dich und konzentrier dich aufs Wesentliche!