Den Tag retten
Geprochen von Pfarrerin Claudia Rudolff
Es gibt Tage, die sollen einfach nur schön sein. Es ist warm, die Sonne scheint. Ein Ausflug zum beliebten Fischrestaurant. Ein freier Tisch direkt am Meer. Wunderbar! Am Nebentisch ein junges Paar. Sehr jung. Sie gönnen sich ein gutes Essen. So wie meine Freundin und ich. Nebenan werden zwei gut gefüllte Teller serviert. Aus den Augenwinkeln sehe ich ein Zögern der jungen Frau. Es gibt eine kurze, heftige Diskussion mit der Bedienung. Es muss etwas schief gegangen sein. Die Bedienung wird laut und knallt das Essen auf den Tisch.
Gedrückte Stimmung am Nebentisch
Ich bekomme in Bruchstücken mit, dass sich die beiden eine Vorspeise teilen wollten, nun aber doppelt so viel bekommen haben. Und wahrscheinlich auch doppelt so viel bezahlen müssen.Wir merken die gedrückte Stimmung am Nebentisch. Für die beiden scheint der Tag gelaufen zu sein. Zu viel und zu teures Essen passen nicht zu einem schönen Tag. Sie schweigen und essen lustlos.
Was ist richtig, was ist falsch?
Sie tun uns leid. „Aber denk doch mal, wie es uns gegangen wäre?“ Meine Freundin erinnert mich an unsere eigene Jugend. Wenig Geld und Essen gehen zu zweit musste etwas Besonderes bleiben. Wir überlegen, ob wir die Bedienung ansprechen sollen. Oder die beiden. Macht man nicht. Und die Rechnung übernehmen? Das könnte die Peinlichkeit noch verschärfen. Es treibt uns um. Was ist richtig, was ist falsch?
Den Tag für andere retten
Als wir das Lokal verlassen, treffen wir auf die junge Frau. Meine Freundin geht auf sie zu und spricht mit ihr. Nach einem kurzen Zögern strahlt sie und winkt zum Abschied. „Du hast ihr Geld gegeben?“ frage ich. „Ja, ich habe sie gefragt, ob sie Not hätten, die Rechnung zu bezahlen. Sie hat extra noch Geld holen müssen. Da habe ich ihr einen Schein in die Hand gegeben. Sie hat mich gefragt: Warum machen Sie das? Da habe ich ihr gesagt: Eines Tages werden sie sich an heute erinnern. Und dann geben sie jemand anderem etwas, was den Tag rettet.“