hr1 ZUSPRUCH
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Wörsdörfer, Andreas

Ein Sendung von

Pastoralreferent, Katholische Pfarrei Dom St. Bartholomäus, Frankfurt am Main

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Carpe diem

Das Leben kann manchmal richtig anstrengend sein. So hab ich das vor ein paar Wochen erlebt. Ich hatte wahnsinnigen Zeitdruck, die Arbeit hat sich gestapelt, wie die E-Mails in meinem Postfach. Stress, der nicht enden will. Und dann ist auch noch das Auto kaputt gegangen, die Spülmaschine hat aus unerklärlichen Gründen die Küche unter Wasser gesetzt, und im Garten hat ein Sturm einen Baum umgehauen. Und ich hab bei mir gedacht: Da könnte ich mich jetzt gerade dazu legen. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, und denke, überall bin ich hintendran. Es läuft einfach nicht. Und ich, ich sitze so richtig im Loch. So ging es mir vor ein paar Wochen.

Dankbar für einen Tag zum Durchschnaufen

Und dann kam dieser wunderschön sonnige Sonntag und eine unverhoffte Einladung zum Essen bei Freunden. Mal raus. Abschalten. Keine Termine, nur einfach da sein. Abends hab ich dann Rückschau gehalten und war einfach nur dankbar für diesen Tag zum Durchschnaufen.

Ich habe nichts erwartet und mir wurde so viel geschenkt

Carpe Diem: Dieser alte, ein wenig überstrapazierte und – ja ich weiß – oft auch fehlinterpretierte Spruch ist mir in den Sinn gekommen. Pflücke den Tag – heißt er eigentlich wörtlich übersetzt. An diesem Abend hab ich gedacht: Ja, ich habe nichts erwartet und mir wurde so viel geschenkt. Ich hab‘s mir gepflückt. Das hat mir gutgetan.

Ich muss nicht aus jedem Tag das Beste rausholen

Carpe Diem: Nicht etwa, dass ich jetzt aus jedem Tag das Beste für mich herausholen muss, denn so könnte man den Spruch auch verstehen. So in der Art: Nur nichts anbrennen lassen, denn das Leben ist kurz. Das aber führt ja zu weiterem Stress. Zu diesem Gedanken, dass ich dauernd etwas verpasse.

Bereit sein für das unverhofft Schöne

Ich finde es beruhigend zu wissen, dass es die kleinen Geschenke gibt, so wie dieser Sonntag. Obwohl es schon morgen wieder trubelig werden kann und ich wieder das Gefühl haben werde, überall hintendran zu sein. Ich weiß: Ich muss mir nicht heute schon Sorgen über morgen oder übermorgen machen. Gerade in schweren Zeiten darf ich einfach einen Tag nach dem anderen leben. Und so in kleinen Schritten vorangehen - die dann irgendwann wieder größer, froher und leichter sein werden. Und dazwischen helfen mir diese geschenkten Momente, die mich nachhaltig froh und leicht machen können, wenn ich sie mit offenem Herzen wahrnehme und sie mir pflücke. Pflücke den Tag – Carpe Diem: Ich will bereit sein für das unverhofft Schöne.