hr1 ZUSPRUCH
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Schütz, Ingo

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Oberursel-Bommersheim

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Tomatenzauber

Meine große Tochter geht in Königstein im Taunus zur Schule. Dort gibt es ein Bistro, in dem Ehrenamtliche Brötchen schmieren, Pausensnacks verkaufen und mittags warmes Essen ausgeben. Ich auch. Und so erlebe ich viel Schönes, aber auch manchen Ärger. Schön war es, als wir Ehrenamtlichen neulich zusammen gestaunt haben: An dem kleinen Bach, der durch das Schulgelände fließt, wuchsen neue Pflanzen. Von Woche zu Woche wurden sie größer und grüner und sahen auf dem Schulhof einfach hübsch aus. Wo sie herkamen, konnte sich keiner erklären, schließlich gibt es keinen Gärtner an der Schule, und der Hausmeister fühlte sich für die Bepflanzung an dieser Stelle nicht zuständig.

Ärger um Tomatenscheiben

Rund um das Bistro gibt es natürlich auch allerlei Ärger. So wie damals, als ein paar Mädels erwischt wurden. Sie hatten die Tomatenscheiben, die sie nicht mochten, von den liebevoll geschmierten Brötchen einfach herunter gepult und in den Bach geworfen. Eine echte Sauerei! Und wer macht die wieder weg? Die Mädels sind nach der Schimpfe jedenfalls abgehauen, und von uns Erwachsenen hat sich auch niemand um die verdreckten Tomatenscheiben gekümmert, bis wir sie irgendwann vergessen haben.

Ob die Schimpfe etwas bewirkt hat? Das frage ich mich oft, auch und gerade, wenn ich mit meinen eigenen Kindern ein ernstes Wörtchen zu reden habe. Ich ahne: Es ist wichtig auszusprechen, was nicht in Ordnung war. Aber dann muss ich eine Sache manchmal auch auf sich beruhen lassen. Deshalb bin ich froh, dass der Ärger über die Mädels an der Schule irgendwann vergessen war und sie ihren Unfug nicht wiederholt haben.

Aus Ärger wächst etwas Neues

Nach einiger Zeit kamen sie wieder ins Bistro und haben ihre Brötchen gekauft. Wenn Tomaten darauf waren, haben sie die an andere verschenkt. Sie hatten sich die Kritik also zu Herzen genommen. Aus dem Unfug, den sie gemacht hatten, ist zudem noch etwas Gutes erwachsen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Die hübschen grünen Pflanzen am Bach wuchsen über den Sommer und bekamen Blüten. Da ahnten wir bereits, was sich dann mit ihren Früchten bestätigte. Es waren Tomatenpflanzen, die dort niemand bewusst gesät hatte. Sie kamen aus den weggeworfenen Scheiben der geschimpften Mädchen. Wie schön, wenn aus Ärger am Ende doch noch etwas Schönes wird, auf dem Pausenhof und in der Schule des Lebens.