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Kristen, Dr. Peter

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Großmuttersprache

Großmuttersprache

Lange bevor Kinder zur Schule gehen, lernen sie ihre Muttersprache.Sie prägen sich ein, was sie von anderen hören, einfach so. In unserer Muttersprache drücken wir uns aus, ohne über Formulierungen nachzudenken, in ihr können wir Scherze machen, ironisch sein und beten. Meine Muttersprache ist ein Teil von mir.

Heute ist der Internationale Tag der Muttersprache. Die UNESCO erinnert damit an die Bedeutung des Kulturgutes Sprache. Der Tag heißt es, „soll die Sprachenvielfalt und den Gebrauch der Muttersprache fördern und das Bewusstsein für sprachliche und kulturelle Traditionen stärken.“

Meine Mutter spricht Deutsch mit mir, obwohl ihre Muttersprache genau genommen Wetterauer Platt ist. Mit meiner Oma hat sie das Platt ihres Dorfes gesprochen und wenn ich mit im Raum war, beides: Platt mit ihr und mit mir hochdeutsch, weil das arme Kind sonst angeblich keine Chance hat in der Schule. Auch meine Oma hat dann „noch de Schrift geschwätzt“ und war stolz, dass sie das konnte. Klar ist das ungewöhnlich, wenn man „die Bach“ sagt und „des Bleistift“, aber das lässt sich ja später korrigieren. So ist hessisch Platt meine „Großmuttersprache“.

Dialekte sind ein ganz besonderes Kulturgut. Viele Dialekt-Worte weisen auf ein Stück bäuerlicher und auch kirchlicher Kultur hin, die gerade verschwindet. „Ean die Kirch gieh, nei ugeneusch seu ean dahn, sefrirre seu, ko Easse zoukomme losse, met of de Friedhob gieh, wann eans gestorwe eas.“ (In die Kirche gehen, nicht unmäßig sein und teilen, zufrieden sein, keine Lebensmittel verderben lassen, mit zur Bestattungsfeier gehen, wenn jemand verstorben ist.)

Natürlich war früher nicht nur Idylle. Es gab auch harte Arbeit, ungleiche Geschlechterrollen, zwei Kriege und großes Unrecht. Ich verbinde mit meiner Großmuttersprache aber auch Fürsorge, Bescheidenheit und eine überschaubare, bäuerlich-erdverbundene Welt, in der man sich die Finger bei der Arbeit schmutzig macht. Da wird selbstverständlich selbst gekocht, von Rind und Schwein kennt man jedes Teil und der, den das Los getroffen hat, heizt den Backofen für alle mit viel Reisig an. Ohm Sonndog wead nau geschafft, samdogs die Gasse gekehrt. (Sonntags ruht die Arbeit, samstags kehr man die Straße)

Ich mag meine Großmuttersprache und freue mich über alle, die Dialekte pflegen. Mit der Sprache lebt auch die Erinnerung an eine bodenständige, menschenfreundliche und oft humorvolle Kultur: Des irschte Maul voll blest mer ean wanns Bottermelch eas. (Den ersten Mund voll (z.B. Suppe oder Tee) bläst man, auch wenn es Buttermilch ist)