Auch Gott ging mal spazieren
Die Kasseler Universität hat vor einer ganzen Reihe von Jahren ein eigenartiges Studienfach eingeführt: die Promenadologie. Man kann dazu auch auf Deutsch: Spaziergangswissenschaft sagen. Da möchte man doch gerne Student sein! Und seine Masterprüfung im Spazierengehen machen!
Allerdings – ganz so lustig ist das nicht gemeint. Spazieren ist eine Sache, über die es sich lohnt nachzudenken. Und für die wir uns wieder öfter Zeit nehmen müssen.
Denn beim Spaziergang entdecken wir unsere Umgebung in ganz besonderer Weise. Schon das Wort ‚Spazieren‘ macht darauf aufmerksam. „Spatium“ ist das lateinische Wort für Raum. Spazierend erschließen wir uns Räume. Natürlich nur, wenn wir es wirklich beherzigen: Spazieren heißt: gemächlich gehen. Nicht zu eilen oder zu rennen, heißt auch nicht zu walken, das geht alles viel zu schnell. Auf der anderen Seite: Wer gleich auf der ersten Parkbank Station macht und nur die Augen spazieren schickt, erfasst den Raum auch nicht richtig.
Das gemächliche Gehen – was für Kinder beim Sonntagsspaziergang der Familie oft genug zur Qual wird – dieses gemächliche Gehen eröffnet uns die Wirklichkeit unserer Welt in einer besonderen Weise. Ich erfahre beim Gehen die Entfernung und die Nähe. Im Schritttempo nehme ich die Farben und die Gerüche wahr, an denen ich sonst nur vorbei rase. Ich merke, ob ich auf weichem oder hartem Boden laufe. Spazierengehen erdet mich.
Ich lese in der Bibel, dass der Schöpfer selbst mal so einen Spaziergang in seinem Paradiesgarten gemacht hat, gegen Abend, als es nicht mehr so heiß war. Gott erschließt sich auf einem Spaziergang diesen Raum, den er ja selbst geschaffen hat (1. Mose 3,8). Warum tut er das?
Ich glaube, Gott wollte nicht bloß von oben draufschauen. Gott geht da spazieren, um erkennen zu können, dass alles sehr gut war. Auch den Spaziergangs-Wissenschaftlern von Kassel lag das am Herzen: beim Gehen erkunden, ob wirklich alles gut ist. Und dabei sehen, was beim Bauen und Planen unserer Umgebung anders werden muss. Vielleicht sogar ein bisschen mehr in Richtung Paradies?
Gottes Abendspaziergang durchs Paradies ist eine schöne Anregung: Auch ich kann meinen Lebensraum hin und wieder gemächlich durchschreiten und versuchen, den Blick Gottes auf unsere Welt einzuüben.