hr1 ZUSPRUCH
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Grützner, Kurt

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel

Unfassbar

Unfassbar

Ich habe einen Freund, der kommentiert alles und jedes mit dem Wort „unfassbar!“ Das ist fast schon eine Marotte, die einem auch auf die Nerven gehen kann. Okay, wenn wir was Schönes sehen wie letztlich hier in Kassel der Blick vom Herkules auf die Stadt im Frühnebel: das ist schon unfassbar schön. Aber auch, wenn einem ein Missgeschick passiert oder jemand sich ziemlich daneben benimmt, kommt mein Freund mit seinem Kommentar daher: „unfassbar“! Er meint dann: unfassbar peinlich, unfassbar blöd. Da kann sein „unfassbar“ manchmal sogar verletzend sein.

Aber ich will mich nicht von seiner Marotte nerven lassen, sondern mal hinschauen, was hinter seinem dauernden „unfassbar“ auch steckt. Sein „unfassbar“ beschreibt eine menschliche Grundbedingung: Wir können Dinge nur glauben, wenn wir sie auch zu fassen kriegen – und das auch im wahrsten Sinne des Wortes: anfassen. In der Bibel kommt ein Mann vor, dessen Geschichte ihm den Namen gegeben hat: „der ungläubige Thomas“. Der konnte es auch nicht fassen, was ihm seine Jüngerkollegen erzählten: dass sie nämlich den auferstandenen Christus gesehen hätten. Das findet Thomas unfassbar und sagt: „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben.“ (Joh. 20, 25) Und genau das passiert: Jesus erscheint und der ungläubige Thomas bekommt, was er fordert: er kann ihn anfassen. Das ist wirklich unfassbar. Das antwortet ihm Jesus auch und sagt: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“(Joh. 20, 29)

In der Situation sind wir: Wir sehen nicht und sind darauf angewiesen, das Unfassbare zu glauben. Dieser Glaube ist ein Geschenk. Das war eine der revolutionären Erkenntnisse der Reformation. Aber auch eine der schwierigsten. Darum ist mir dieser kurze Gebetsruf aus dem Markusevangelium einer der wichtigsten geworden: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9, 24).

Vieles wird unfassbar bleiben. Da hat mein Freund Recht.