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Kristen, Dr. Peter

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Kopfnoten

Kopfnoten

Morgen gibt's mal wieder Zeugnisse an Hessens Schulen. So richtig spannend wie früher ist das nicht mehr. Welche Noten da stehen werden, das wissen die Schülerinnen und Schüler schon längst. Nur die Kopfnoten nicht, die das „Arbeitsverhalten und Sozialverhalten“ bewerten. Für mich als Schulpfarrer ist die Note in Sozialverhalten am interessantesten. Ich finde, das ist eigentlich eher eine Herzensnote als eine Kopfnote.

Die Regeln dafür hat jede hessische Schule festgelegt: Eine 1 in Sozialverhalten soll zum Beispiel bekommen, wer die Klassengemeinschaft fördert, hilfsbereit ist, wer die Meinung anderer toleriert und seine Konflikte mit friedlichen Mitteln löst. Wer Mitschüler ausgrenzt, für den ist eine 4 in Sozialverhalten vorgesehen.

Einer Schülerin, ich nenne sie mal Maike, habe ich eine 4 eingetragen.

Am Anfang der Religionsstunde hatte Kai wieder einmal keinen Platz gefunden, obwohl noch Stühle frei waren. "Ich würde mich freuen, wenn wir gemeinsam für Kai noch einen Platz finden könnten“, sage ich. "Aber für den Kai brauchen wir hier doch gar keinen Platz", ruft Maike laut in die Klasse und lacht.

Kaum jemand lacht mit, ich auch nicht. Ich schaue Maike ungewöhnlich böse an und sage: „Ich möchte, dass alle, die zu uns gehören, einen Platz finden, an dem sie sich wohlfühlen und gut mitarbeiten können“.

Es wird still. Dann erarbeiten die Jungs einen Plan, wie Kai auch einen guten Platz bekommt. Einige helfen mit, sie tauschen freiwillig ihre Plätze. Es beginnt eine Stunde, in der mich Maike keines Blickes würdigt. Sie ist eine sehr gute Schülerin, aber jetzt schweigt sie eisern.

Nach der Stunde reden wir darüber. Maike erzählt: "Mein Vater sagt, du musst dich durchsetzten im Leben, bei ihm in der Firma ist das auch so. Gute Plätze sind schnell vergeben und für seinen eigenen muss man kämpfen. Kai hat noch nie gekämpft und so bringt man es zu nichts.“

Maike war in der Klemme. Ich habe verlangt, dass sie tolerant ist und Rücksicht nimmt, dass sie sich für die Klassengemeinschaft engagiert, ihr Vater ermuntert sie, sich durchzusetzen, vielleicht auch auf Kosten anderer.

Eigentlich habe ich da einen Konflikt mit dem Vater. Die 4 in Sozialverhalten ist eigentlich seine. Ich hab mir vorgenommen, ihn bei der nächsten Gelegenheit anzusprechen.