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Becker, Michael

Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer, Kassel

Genießen, einfach nur sein

Genießen, einfach nur sein

Genießen ist einfach schwer. Immer ist da dieser Konjunktiv, die Möglichkeitsform im Hinterkopf: Eigentlich könnte ich, eigentlich sollte ich jetzt dies oder das tun. Schon ist jeder Genuss weg. Oder das Pflichtgefühl: Ich muss das vorbereiten und jenes tun. Alles nur falsch, wenn man genießen will. Wer immerzu etwas vorhat, genießt nicht. Genießen kann man nur mit leeren Händen. Aber wie schwer ist das…

Bei mir ist zweierlei nötig, damit ich genießen kann. Das eine: Ich muss langsamer machen. Eile und Genuss schließen sich aus. Ich muss das Tempo meines Alltags drosseln. Dann sehe ich mehr, höre besser, bin achtsamer auf andere und mich. Das zweite ist: Ich muss mehr vertrauen. Andere sind auch gut, können auch etwas. Ich muss gar nicht so viel selber machen, wie ich oft meine. Ich will auch abgeben, sogar nichts tun. Mit leeren Händen und Vertrauen auf andere kann ich besser genießen, was da ist.

Ein Genuss ist manchmal, einfach nur zu sein. Dasitzen, an den Himmel schauen, die Sonne spüren und die Pfingstfeiertage genießen, falls man frei hat. Ohne Pläne, ohne Termine. Oder durch die Gegend gehen, den Vögeln zusehen und die Farben der Lilien bewundern. Sie machen sich weniger Sorgen als wir, behauptet Jesus. Und sagt mir: Sei einfach mal wie eine Lilie auf dem Feld. Versuch es. Wenn sich dann dieser Konjunktiv davor schiebt, was du jetzt alles tun könntest - folge ihm nicht. Schau lieber wieder auf die Lilien oder auf die Vögel am Himmel. Ich mache das gerne so, wenn’s irgend geht. Und spüre wieder: Oft mache ich mir einfach zu viele Sorgen. Habe die Hände zu voll mit Wünschen und Sorgen und Plänen. Dann zwinge ich mich und sage: Morgen, morgen mache ich das. Aber heute, lieber Gott, heute will ich mich nicht so wichtig nehmen; kümmere du dich bitte darum. Heute will ich einfach nur deine schönen Lilien genießen.