Ostafrika ist nicht nur ein Hungerland
Letztes Jahr war ich in Ostafrika. Ein paar Tage Einkehr bei Freunden von früher. In Ostafrika? Vor wenigen Wochen noch war täglich von Ostafrika zu hören und zu lesen: Hungerkatastrophe, Flüchtlingselend, Bürgerkrieg. Diese Schreckensnachrichten aus Somalia, Kenia, Äthiopien und Dschibuti, wo 12 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind, lässt Anderes fast verschwinden: in Ostafrika gibt es reiche, sehr alte Kulturen, melodische Sprachen, wunderbare Musik. Die lauten Schlagzeilen mit ihren Superlativen erzeugen Abwehr in mir: Reduzieren wir diesen Kontinent nicht auf Elend, Not und Tod!
Natürlich: Es ist wichtig, dass es ihn gibt, diesen Blick auf das armselige, furchtbare Sterben. Es ist wichtig, dass wir in den Nordosten Kenias schauen, wo sich das größte Flüchtlingslager der Welt gebildet hat. Hunderttausende Menschen suchen hier Schutz vor Dürre und Gewalt. Bis zum Jahresende – so rechnet man – wird ihre Zahl bei einer halben Million liegen. Seit Monaten läuft nichts mehr nach Plan. Ein Mitarbeiter der Welthungerhilfe berichtet: „Die Leute kommen an, erhalten ein paar Kekse und sollen sich dann selbst einen Lagerplatz suchen – es sind unhaltbare Zustände!“
Die Reportagen aus der Region sind wichtig. Aber die Gefahr schwingt immer mit, dass wir das andere Afrika über dem ganzen Elend vergessen, das – so will ich es mal nennen – das gesegnete und reiche Afrika. Auch vergessen und übersehen, wie viele Probleme dort von den Menschen in Ostafrika selbst angegangen und gelöst werden. Dass zum Beispiel die Kirchen in Kenia und im benachbarten Tansania Waisenhäuser bauen und betreiben, Nahrungsmittel unter den Flüchtlingen verteilen, Kinder unterrichten im Lesen und Schreiben und in Gesundheitsfragen. So gibt es in Kenia eine Initiative „Kenianer für Kenia“. Dort wurden für die Hungernden im Norden des Landes in wenigen Wochen umgerechnet 4 Millionen Euro gesammelt, mit denen Lebensmittel gekauft werden konnten.
Ich war im letzten Herbst in Ostafrika. Vielleicht habe ich auf dieser Reise ein wenig gelernt, den gewohnten Katastrophenblick, der immer danach sieht, wo die Probleme am größten sind, durch einen zweiten Blick zu ergänzen. Den Blick in die selbstbewussten Augen der Frauen und Männer, den Blick in die lachenden und neugierigen Gesichter der Kinder.
Dazu passt für mich sehr schön der Satz aus einem afrikanischen Gebet: „Gott gebe uns allen immer neu die Kraft, der Hoffnung ein Gesicht zu geben.“