Nichts wird gelöscht
Heute sagt er: „Es war doch nur eine Jugendsünde!“. Es war nur ein Ausrutscher, als er vor sieben oder acht Jahren einmal kräftig über die Strenge geschlagen hatte und singend und schwankend das ganze Lokal aufmischte. Was er nicht ahnte: Jemand hatte ihn gefilmt. Und – kaum war der Kater vorbei – konnte er sich auf einer Art und Weise in YouTube bewundern, wie er sich noch nie gesehen hatte und wie ihn in seinem wirklichen Leben niemand mehr sehen würde.
Aber im Internet ist er verewigt. Ein Video, nur anderthalb Minuten lang, aber wie für die Ewigkeit. Auch nach sieben Jahren ist die Seite noch ein Tipp für viele. Manche kennen ihn nur vom Video und glauben nur, ihn zu kennen.
Und, da duldet er keinen Widerspruch: Dieser Internet-Auftritt hat auch etwas mit seinen erfolglosen Bewerbungen zu tun. Ob es nun so ist oder nicht: Er stellt sich jedenfalls vor, dass die Menschen, die ihm lieblose vorgefertigte Absagen schicken, seine passablen Zeugnisse schnell zur Seite legen, weil sie seinen Namen gegoogelt haben und die blamablen Bilder von ihm längst kennen. Wie ein gläserner Mensch kommt er sich vor. Durchschaut bin in die tiefsten Tiefen. Und nichts wird gelöscht.
„Ich kann es nicht ungeschehen machen“, sagt er. “Ich muss damit leben. So peinlich mir das alles ist. Und so sehr es mir schadet."
Ja, die Welt unserer elektronischen Kommunikation ist ziemlich komfortabel. Wir könnten darauf nur schwer verzichten. Aber eines ist ihr gänzlich fremd. Und ohne das kann unser Zusammenleben nicht gelingen: Vergebung und neuer Anfang. Wir sind darauf angewiesen, immer wieder abzulegen und hinter uns zu lassen, was uns belastet oder was uns misslungen ist. Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Vergangenheit uns nicht für alle Zeiten unerträglich belastet. Wie können Menschen miteinander in einer guten Beziehung leben, wenn Vergebung ein Fremdwort ist?
Ein Scherzbold hat sich ausgemalt, wie das wäre, wenn auch im Himmel gegoogelt würde. Wenn also Petrus an der Himmelspforte jemanden empfängt und ihm sagt: „Weißt du, ich habe etwas den Überblick verloren. Aber wenn ich sehe, was ich über dich im Internet finden kann, dann kommst du hier nicht rein!“
Zum Glück nur ein Scherz, denn Ich glaube, dass es im Himmel keine unlöschbaren Daten gibt, weil Vergebung ein Geschenk des Himmels ist. Umso mehr sollten sich die Fachleute bemühen, so etwas wie einen elektronischen Radiergummi zu erfinden, so schwer das auch technisch sein mag.