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Eine Sendung von

Evangelischer Pfarrer im Ruhestand, Biebertal

Geduld kann man lernen

Geduld kann man lernen

Ich warte grundsätzlich immer vor der Kasse im Supermarkt, wo es am langsamsten vorangeht oder wo die Kassiererin ausgerechnet bei der Kundin vor mir eine neue Papierrolle einlegen muss. Ich bin mir sicher, dass es so ist. Einige meiner Mitmenschen meinen allerdings, es liege an mir. Sie sagen: „Geduld gehört nicht gerade zu deinen herausragenden Eigenschaften“. Mag sein.

Vielleicht bin ich auch in dieser Hinsicht ein Kind unserer Zeit, die sich überhaupt schwer tut mit der Geduld. Ein Fußballtrainer, dessen Mannschaft dreimal hintereinander verliert, muss ganz schnell mit der Ungeduld der Fans, der Medien und seines Vereinsvorstands rechnen. Und die Mitarbeiter der Firma, die in letzter Zeit nur Verluste macht, sollten nicht auf die Geduld der Aktionäre setzen. Was sich nicht rechnet, wird schnell abgestoßen. Wer Zeit verliert, verliert auch Geld. Oder den beruflichen Aufstieg. Oder den Anschluss an die Spitze. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Das kann sich dann fortsetzen bis in den privaten Bereich. Nur keine Zeit verlieren! Morgens die Tasse Kaffee im Stehen. Der Text für das Referat wird am Lenkrad während der Fahrt noch einmal überflogen. Und beim flüchtigen Kuss zum Abschied streift der Blick die Armbanduhr, wie nebenbei aber mit Absicht. Ein Zustand der Erschöpfung, Burn out, überfällt Menschen nicht unbedingt deshalb, weil sie objektiv zu viel zu tun haben, sondern weil sie innerlich nicht mehr zur Ruhe kommen.

Fragt sich nur, ob und wie man da raus kommt. Mein Bekannter sagt: "Ich habe Geduld gelernt. Hab ich lernen müssen!" Als seine gesundheitlichen Beschwerden nicht nachgelassen haben, musste er ins Krankenhaus. In den ersten Stunden nach der Nachricht drehte sich alles um die Frage: Muss ich die Termine für die nächsten Tage absagen? Das hole ich nie mehr auf! Wie lange wird´s dauern, bis ich mich wieder normal belasten kann? Und dann kommt das Krankenhaus und die Reha. Und er ist erst nach Wochen wieder daheim. Und geht durch den Garten. Er sagt: "Was heißt hier `Termine verpasst´? Es ging auch so! Es musste gehen. Das soll mir eine Lehre sein. Ich habe mir fest vorgenommen, nicht mehr ungeduldig durch mein Leben zu rennen, so wie man Auto fährt: ´Schnell von A nach B. Und bitte: Niemand, der mich aufhält oder ablenkt!´

Jetzt gönne ich mir auch mal langsame Wegstrecken. Und schaue, was ich aus diesem Tag mache. Und was dieser Tag aus mir macht!"