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Jelinek, Carmen

Eine Sendung von

Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen

Erinnern und Zukunft gestalten

Erinnern und Zukunft gestalten

„Erzähl doch mal etwas von früher!“ So habe ich als Kind immer wieder gebettelt, weil ich die Lebensgeschichten meiner Eltern und Großeltern so spannend fand. Heute denke ich, es war nicht nur spannend, was ich von früher erzählt bekommen habe, sondern es hat mich auch geprägt und bildet einen wesentlichen Teil des Fundamentes, auf dem mein Leben steht.

Gedenke der vorigen Zeiten und hab acht auf die Jahre von Geschlecht zu Geschlecht. So ermahnt uns die Bibel im fünften Buch Mose. Und sie plädiert für einen guten Schuss ungebremster Neugier: Frage deinen Vater – und ich ergänze: damit du noch ein vollständigeres Bild bekommst von dem, was los war: frage auch deine Mutter -die werden dir's verkünden, deine Ältesten, die werden dir's sagen. Erinnere dich an deine Kindheit, in der deine Phantasie so groß war und deine Träume so zahlreich. Erinnere dich an die wunderbaren Sommertage, die du als Kind erlebt hast, an denen du so viel ausprobiert hast. Und vergiss nicht die Großeltern und die Nachbarn, die dir Anteil gegeben haben an ihren Lebensgeschichten. Wenn du an die Kinder und Enkel denkst, für die du gerne da sein willst. Welche Geschichten willst du ihnen erzählen? Welche Lieder willst du ihnen singen? Steig hinab in den Brunnen der Erinnerung, bis du darauf stößt, was sie dir mitgegeben haben, und du wirst entdecken, was daran gut war und auch in Zukunft trägt..

Ich nenne mal exemplarisch meine Großtante Hedwig, eine Person, die mich in diesem Sinne sehr geprägt hat – ohne dass sie das selbst auch nur gemerkt hätte. Ich weiß nämlich noch genau, wie ich als kleines Mädchen in ihrer Küche saß bei dem großen Herd, auf dem sie immer Brotscheiben röstete. Und da hat sie von früher erzählt, von einfachem Leben und harter Arbeit. Ich habe viel Zeit mit Tante Hedwig verbracht. Sie saß ganz oft vor dem Haus und hatte irgendetwas in den Hände. Sie hat Bohnen abgestrippt oder Fallobst ausgeschnitten, so dass man noch Apfelmus davon machen konnte. Sie besaß wenig und hat aus allem etwas gemacht. Und von dem Wenigen hat sie noch viel verschenkt. Das nehme ich inGedanken mit aus ihrem Leben. Weil ihr Geheimnis war, dass sie mit dem Wenigen zufrieden und vielleicht sogar glücklich war.

Mir ist bewusst, dass Erinnerung allein nicht ausreicht, um Zukunft entstehen zu lassen. Aber sie ist dazu da, um an ihr anzuknüpfen. Die Zukunft dieser Welt liegt in Händen derer, die mit der Vergangenheit kreativ umgehen, sie weiter schreiben. Das heißt auch, Traditionen immer wieder neu in die Gegenwart hinein auslegen und sie weiterleben.