Die Sache mit Nicki
Wer sagt eigentlich, welcher Mensch schön ist und warum? Auch bei dieser Frage lässt sich von Kindern eine Menge lernen.
Einer unserer Söhne hatte sein Schmusetier. Schon mit drei oder vier Jahren. Auch noch mit sieben oder acht. Eigentlich hatte er viele. Aber eines war seins. Das war Nicki. Ein kleiner wolliger, mit Schaumstoff ausgestopfter Hund. „Das ist mein Freund“, sagte er. „Den liebe ich.“
Vom vielen Lieben wurde Nicki mit Laufe der Zeit ziemlich unansehnlich. Die Wolle war verschlissen, die Füllung wurde immer weniger, der Hund immer flacher. An manchen Stellen konnte man schon in ihn hinein sehen.
Was machen Eltern in einem solchen Fall? Sie machen sich auf die Suche nach einem „baugleichen neuen Modell“. Das haben wir schließlich auch gefunden. Ein Hund, der in Farbe und Form dem Nicki glich wie ein Ei dem anderen. Dem neuen, unbeschädigten Nicki allerdings.
Und diesen neuen Nicki-Doppelgänger bekam unser Sohn am Abend vor dem Schlafengehen stolz präsentiert. „Sieh mal, was wir hier haben! Dein Nicki! Wie neu!“ Pause. Dann er: „Das ist nicht mein Nicki. Wo ist mein Nicki?“ „Aber er sieht doch genauso aus. Und ist viel schöner!“ „Das ist nicht mein Nicki.“ Es ging hin und her. Argumente halfen hier gar nichts. Es gab Tränen: „Ich will meinen Nicki!“
So ist schließlich alles beim alten geblieben. Beim alten, flachen, unansehnlichen Schmusehund. Der neue wanderte in den Schrank. Der alte in sein Bett und an seine Brust. Er wurde notdürftig gestopft und geflickt und tat weiterhin seinen Dienst. Als Freund. Und Geliebter.
Ja, habe ich gelernt, so ist es bei einem Kind: Ein Kind liebt sein Schmusetier nicht, weil es attraktiv ist. Neu. Schön. Teuer. Ein Kind liebt sein Schmusetier, egal wie es aussieht oder was ihm fehlt. Und diese Liebe macht den Nicki schön. Kostbar. Ein Kind stellt den Zusammenhang wieder auf die Füße, den wir Erwachsenen häufig auf den Kopf stellen: Nicht weil du schön bist, liebe ich dich. Sondern: Weil ich dich liebe bist du schön.