Die Heuernte ist der Geschmack des Sommers
In einem meiner Fotoalben fand ich zufällig ein altes Bild wieder. Es zeigt eine Heuernte, so wie sie früher war, und wir mitten darin. Als ich das Bild anschaute, erstand auch schon in mir der ganze Sommer, wie ich ihn erlebt habe: plötzlich hörte ich in mir die Geräusche und Stimmen im Dorf, ich spürte die Brennnesseln am Wegrand, und ich roch den unvergleichlichen Duft von frischem, trockenen Heu.
Damals haben wir die Sommerferien bei einem Onkel verbracht. Der war Lehrer und Bauer hinter Stuttgart auf der Schwäbischen Alb. Und wenn wir bei ihm zum Urlaub waren, dann hieß es auch für uns Städter schon bald: heute gehen wir ins Heu.
Das alte Foto zeigt nun unsere Familie um den Heuwagen herum – meine Eltern und wir Kinder mit großen Rechen und langen Heugabeln in der Hand bei der Arbeit in unserem Urlaub. Warum hat man sich das damals angetan?
Natürlich konnten sich die Eltern in diesen Jahren keinen anderen Urlaub mit der ganzen Familie leisten. Aber wenn ich mir heute das alte Foto anschaue, dann denke ich nicht an den Mangel. Im Gegenteil: Ich finde, bei unserem Urlaub in der Heuernte hat nichts gefehlt. Das alte Bild weckt in mir alle Sinne für den Sommer.
Heutzutage bin ich froh über Klimaanlagen und Jalusinen. Sie schützen mich vor der Wucht des Sommers. Und wer in der Landwirtschaft arbeitet, freut sich natürlich, dass die harte Knochenarbeit der Heuernte in unserer Zeit von Maschinen übernommen wird.
Im Internet fand ich nun Berichte von Urlaubern, die auch jetzt ihren Urlaub nicht am Strand, sondern in der Heuernte verbringen. Sie sagen: schöner als in der Heuernte sei der Sommer nirgends. Und sogar „Im Heu Schlafen“ kann man in einigen Bauernhöfen erleben für wenig Geld, auch in Hessen.
Ich kann die Leute verstehen, die das toll finden. Denn was bleibt vom Sommer, wenn man sich nur vor ihm schützt?! Das alte Foto von der Heuernte in meiner Kindheit weckt in mir die Sehnsucht nach dem Sommer. Den will ich schmecken und riechen, ich will ihn spüren und fühlen. Und ich will dankbar dafür sein, dass Gott diese wunderbare, warme Zeit erschaffen hat.
