hr1 SONNTAGSGEDANKEN
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Hartmann, Christoph

Eine Sendung von

Lehrer und Referent für katholische Schulpastoral

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Loslassen, wenn es am schönsten ist.

Das waren noch Zeiten. Gemeinsam einfach mal die Nacht zum Tag machen. Ob in einer Disco, Bar oder bei einer Party mit Freunden. Die Sehnsucht nach Gelöstheit und Spaß fand ganz nach dem Motto: Wir machen durch bis morgen früh ihre Erfüllung. In den frühen Morgenstunden jedoch offenbaren sich oftmals die Schattenseiten einer solch durchzechten Partynacht. Kopfmerzen und Müdigkeit bis hin zu Pöbeleien und Schnapsleichen sind da keine Seltenheit.

Ganz anders hingegen klingt da folgende Erfahrung: Wenn´s am schönsten ist, soll man gehen. Im ersten Moment klingen diese Worte wie "Spaßbremsen". Aber sie bezeugen eine interessante Erfahrung. Eigentlich strebe ich nach Dingen, die mir Freude bereiten. Von diesen möchte ich dann immer mehr haben. Andererseits vermeide ich Dinge, die Freude zerstören, die Leid bringen. Aber so ist es nachvollziehbar, dass ich freudige Momente so lange wie möglich festhalten möchte. Bei dem eingangs erwähnten Beispiel mit der Partynacht wird jedoch deutlich, dass das Streben nach noch mehr Freude bzw. das daran Festhalten wollen, schnell ins Gegenteil umkippen kann. Oder nehmen wir folgendes Beispiel: Ein Spekulant an der Börse. Wenn die unstillbare Gier nach noch mehr Gewinn schließlich im Totalverlust endet. Geschichten vom Totalabsturz, davon lese und höre ich häufiger in den Medien.

Von daher stellt sich für mich die Frage: Wie schaffe ich es an dem Punkt, an dem es am schönsten ist, zu gehen? Die Antwort darauf mag sehr individuell sein. Für mich ist das Entscheidende dabei der Wille. Ist er stark genug? Hat mein Wille genug Kraft sich gegen das Verlangen nach noch mehr zu stemmen? Denn nur so bleiben mir die Schattenseiten der Partynacht oder des möglichen Totalverlusts an der Börse erspart. Auf dem Weg zu einem starken Willen sind eigene Erfahrungen unerlässlich. Hilfreich sind mir dabei Erfahrungen geworden, die die Kirche in ihrer über 2000-jährigen Geschichte gesammelt hat. Die Kirche weiß darum, dass der Mensch dazu neigt, immer mehr haben zu wollen. Daher bietet sie eine neue Perspektive an. Die Kirche ist davon überzeugt, dass das Verlangen nach dem Mehr im Leben nur in der Begegnung mit Jesus Christus in Erfüllung gehen kann. Diese Erkenntnis führt bei mir und vielen Christen unweigerlich dazu, dass wir unseren „Lebenskompass“ immer wieder neu auf Jesus hin ausrichten. Damit das gelingen kann, braucht es  - ähnlich wie im Sport - ein Trainingslager. Für Christen ist das die Fastenzeit. Auch wenn die letzten Wochen der Pandemie schon viel Kraft und viel Verzicht gekostet haben, Ostern wird so oder so – Gott sei Dank – gefeiert. Egal welcher Sturm gerade über unsere Erde zieht. Bleibt also zu schauen, welchen Akzent ich für das diesjährige Trainingslager Fastenzeit setzen kann. 

Musik

Für die diesjährige Fastenzeit sind mir zwei Begriffe wichtig: festhalten und loslassen. Sie beschreiben meinen "Akzent" der Vorbereitungszeit auf Ostern. Denn genau das, so meine ich, steckt in der Aussage: Wenn´s am schönsten ist, soll man gehen.  

Zuerst einmal: Wenn´s am schönsten ist. Ich bin mir sicher, dass jeder Mensch nach Momenten sucht, in denen er glücklich ist. In denen einfach alles passt und er Kraft bekommt und auftanken kann. Ich brauche genau solche Momente. Momente, die mir zur Kraftquelle werden. Das sind z. B. Orte an der Küste. Wenn ich am Strand sitze und einfach da bin. Die Sonne scheint. Ich lausche dem Rauschen der Wellen, schmecke die leicht salzige Luft und lasse meinen Blick in die Ferne schweifen. Wenn dann noch am Horizont ein Schiff vorbeizieht, bin ich glücklich.

Dieses Glück kann ich aber nicht ewig festhalten. Auch wenn ich es wollte. Das weiß ich! Irgendwann geht die Sonne unter, der Hunger meldet sich oder die Familie ruft! Wenn´s am schönsten ist, und jetzt kommt der zweite Aspekt ins Spiel, soll man gehen. Es kommt der Zeitpunkt loszulassen. Was bleibt, sind die schönen Erinnerungen und vielleicht die Fotos, von denen ich noch lange zehren kann. Und das ist wichtig! Solche Glücks-Momente tief in meinem Herzen abzuspeichern. Sie geben mir Kraft und Freude weiterzugehen, um so manche schwere Last dieser Tage zu ertragen. Darüber hinaus darf ich sie loslassen, um für mich neue heilige Orte zu entdecken.

Die Fastenzeit bietet mir die Möglichkeit, über diese Spannung von festhalten und loslassen nachzudenken. Fragen, die mir dabei in den Sinn kommen, sind z. B.: Gibt es Dinge, die ich nicht loslassen kann? Oder umgekehrt: Was hält mich fest? Welche Dinge schleppe ich mit mir herum, die mich unfrei machen? Ein Blick in die Abstellkammer lässt dabei die ein oder andere Baustelle zutage treten. Welche Dinge nerven mich an mir selbst? Welche müssen geregelt werden? Denn alles was mich festhält und was ich nicht loslasse – wenn es nicht gut für mich ist – führt unweigerlich in eine Starre. Und diese Starre ist das Gegenteil von Leben und von der Osterbotschaft. Loslassen spielt also in vielen Bereichen des Lebens eine notwendige Rolle! Ein kleines Beispiel noch, dass ich vor einiger Zeit selbst erlebt habe. Ich habe versucht, mit drei Bällen zu jonglieren. Das war die Herausforderung für mich. Denn zwei Bälle in die Luft zu bekommen, war kein Problem. Aber den Dritten mit in Bewegung zu bekommen, ist mir richtig schwergefallen. Ich konnte nicht loslassen. Mein Wille und meine Hand wollten nicht zusammenspielen. Nach viel Übung ist es mir schließlich gelungen. Ich habe es geschafft. Ich habe losgelassen und jongliere jetzt mit drei Bällen.

Musik

Vom Loslassen berichtet auch der heutige Lesungstext in den katholischen Gottesdiensten. (Mk 9,2-10) Jesus führt drei seiner Jünger Petrus, Andreas und Jakobus auf einen Berg. Was sie noch nicht ahnen, dass sie auf dem Berg einen ganz besonderen Moment erleben werden. Oben angekommen, geschieht etwas, was nicht nur mich heute, sondern bereits die Jünger damals tief berührte. Jesus wird vor den Augen der Freunde verwandelt. Sein Gewand wird strahlend weiß. Und aus einer Wolke heraus ist eine Stimme zu hören, die sagt: "Das ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören." Wow! Was für ein großartiger Moment! Hier berühren sich Himmel und Erde.

Auch wenn die Jünger an diesem Ort verweilen und bleiben wollen, steigen sie schließlich vom Berg hinunter und behalten das Erlebte in ihren Herzen. Eben, wenn´s am schönsten ist, soll man gehen! Die Jünger bekommen auf wundersame Weise vor Augen gestellt, wer dieser Jesus ist. Du bist mein geliebter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören. Auch wenn ich diese Worte heute "nur" höre, machen sie mir Mut. Sie geben mir schließlich einen Hinweis darauf, wo und wie ich meinen Willen zum Loslassen trainieren kann.

1. Indem ich mich wie die Jünger von Jesus führen lasse. D. h. ich vertraue Jesus, dass er es gut mit mir meint.

2. Indem ich meinen Willen auf Jesus hinlenke. Konkret: Ich beschäftige mich mit Jesus. Z. B. indem ich in der Bibel lese. Auch Biografien von Menschen, die mir im Glauben einen Schritt voraus sind, können nützlich sein.

Oder wenn noch Kraft trotz des Lockdowns vorhanden ist, ist eine effektive Möglichkeit, den Willen zu stärken: Der Verzicht. Ich erinnere mich noch an das letzte Jahr, in dem ich bewusst auf alle kleinen Snacks zwischen den Hauptmahlzeiten verzichtet habe. Das war für mich echtes Trainingslager. Wer es klassisch katholisch haben möchte, der hält sich an den freitäglichen Fleischverzicht. All das sind Möglichkeiten, und sicherlich kennen Sie noch andere, um den Willen zum Loslassen zu trainieren. Ein mir wichtiger Gedanke zum Schluss. Loslassen ist von Zeit zu Zeit notwendig. Den Willen dafür zu stärken, ist unerlässlich. Auch wenn das nicht immer leicht ist, eins ist mir ganz gewiss: Gott lässt mich niemals los! In diesem Sinne: Wenn´s am schönsten ist, soll man aufhören.

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