hr1 SONNTAGSGEDANKEN
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Ahlbrecht, Jörg

Eine Sendung von

Evangelischer Pastor, Marburg

„Eine anonyme Spende und der Hinweis auf eine Bibelstelle bringt die Frage auf, wie die Diakonie mit Spendern umgehen sollte.“

„Eine anonyme Spende und der Hinweis auf eine Bibelstelle bringt die Frage auf, wie die Diakonie mit Spendern umgehen sollte.“

I.

Vor ein paar Wochen habe ich einen ungewöhnlichen Brief erhalten. Auf dem Briefumschlag stand ‚Für die Melsunger Tafel‘. In dem Kuvert befanden sich viele Geldscheine, insgesamt tausend Euro. Kein Absender. Eine anonyme Spende. Aber ein Hinweis auf die Bibel: ‚Matthäus 6, 1-3‘ stand auf dem Umschlag.
Diese Bibelstelle gibt Worte von Jesus wieder. „Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden.“ Jesus äußert sich hier zu dem Verhältnis von christlichem Glauben und guten Taten. Achtet darauf, dass ihr Gutes tut, nicht um des guten Ansehens willen. Jesus stellt einen Zusammenhang her zwischen diesen Wort und unserer Spendenpraxis. Für ihn drücken Menschen ihren Glauben aus, wenn ihnen die Not anderer am Herzen liegt. Sie spenden, um diese Not zu lindern.

Er sagt: „Wenn du Almosen gibst, sollst du nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun, damit sie von den Leuten gepriesen werden.“ Er wirbt damit, dass das Almosengeben, also das Spenden für bedürftige Menschen, etwas mit dem Gottesverhältnis zu tun hat. Gott sieht darauf, und das mag genügen.
Wer uns nun die 1000 Euro in den Briefumschlag für die Tafel getan hat, setzt die Worte Jesu konkret in die Tat um. Hier wird eine anonyme Spende zum Ausdruck des eigenen Glaubens.

Eine ganz ungewöhnliche Aktion. Da unterstützt jemand die Tafelarbeit, gibt sich nicht zu erkennen, weil es so in der Bibel steht. Wie sollen wir den Anspruch Jesu, die guten Taten nicht zur Schau zu stellen, heute umgehen?
Wir sind in der Diakonie, zum Beispiel auch für die Tafelarbeit, auf viele Spenden angewiesen. Wir werben darum, die gute Arbeit zu unterstützen. In jedem Seminar zu erfolgreicher Spendenwerbung wird man angehalten, sich intensiv um die Spender zu kümmern: Schnelle Reaktion auf die Spende wird geraten, ein Brief, der den Dank übermittelt. Persönliche Kontaktaufnahme ist wichtig. Vor allem bei großen Spenden Gelegenheiten anbieten, die Spende öffentlich zu übergeben. Meistens sind es Firmen oder Kreditinstitute, die darauf Wert legen. Sie möchten, dass ihr soziales Engagement öffentlich bekannt wird.

Musik

Tatsächlich wird von Jesus das Almosengeben im Stillen als vorbildlich und nachahmenswert hingestellt. Almosen stellen im Sinne Jesu nicht den Spender in den Mittelpunkt; sondern der Blick richtet sich auf das, was die Spenden bewirken sollen. Wozu sie benötigt werden. Spenden machen deutlich, was noch fehlt. Konkreter Mangel wird hier angesprochen ebenso wie ungerechte Verhältnisse. Die Spenden sind ein Ausdruck von fehlender Versorgung. Es gibt konkrete Notlagen, die zu überwinden sind, die Spenden zeigen auf, wo Gerechtigkeit fehlt.
Das erleben wir in der Tafelarbeit. Es ist ungerecht, es ist ein Skandal, dass es in unserem Land so viele Menschen gibt, denen die Lebensmittel von der Tafel helfen müssen, über die Runden zu kommen. Die nicht teilnehmen an Konzerten, weil sie eine zu geringe Rente bekommen. Die auf Urlaubsfahrten verzichten, weil der Verdienst nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren. Die sich enttäuscht aus dem Gemeindeleben zurückgezogen haben, weil sie seit Jahren arbeitslos sind.
Jesus hat dazu aufgerufen, sich nicht mit guten Taten zu schmücken und sie vor sich herzutragen. Es geht um die, die unter ungerechten Verhältnissen leiden. Eine gerechtere Gesellschaft, darum geht es letztendlich, wenn Jesus den Blick auf die kleinen Schritte und das lenkt, was sonst verborgen ist. Deshalb freuen wir uns bei der Tafelarbeit über jede Spende, die anderen hilft. Auch wenn jemand eine Spendenquittung möchte oder wenn sein Name genannt werden soll. Allein zählt, dass Menschen an anderen nicht vorbei gehen, sondern sich anrühren lassen von ihrer Not.

Musik

Es geht um Gerechtigkeit im biblischen Sinn. Um den Glauben und das Vertrauen in Gott. Und da verschieben sich manchmal die üblichen Verhältnisse.
Es müssen nicht immer tausend Euro sein. Manchmal haben auch kleine Beträge eine große Bedeutung. Das hat Jesus einmal an einem Beispiel verdeutlicht. Er hat sich in Jerusalem an den Eingang zum Tempel gesetzt und hat beobachtet, wie Menschen ihre Gaben in den Opferkasten hineinlegen. Es sind sehr verschiedene Spender, die da regelmäßig vorbeikommen. Sie legen unterschiedlich große Beträge hinein. Reiche geben große Beträge. Arme geben weniger. Dann kommt eine Frau, sie ist verwitwet, und das bedeutete in der damaligen Zeit auch, dass sie arm war. Sie legt nur einen kleinen Betrag hinein.
Diese kleine Gabehat für Jesus einen großen Wert. Sie bekommt eine besondere Bedeutung. Die arme Witwe hat von dem etwas genommen, das sie eigentlich für sich selbst auch brauchte.Doch sie fühlt sich frei und kann großzügig sein. Denn sie vertraut darauf, dass Gott für sie sorgt.
In meiner Fantasie steckt hinter dem eingangs erwähnten Brief eine Person, die der armen Witwe in der biblischen Geschichte gleicht. Aber ich kann auch falsch liegen.Die anonyme Spende, wie jede andere Spende auch, zeigt ein Stück gelebte Solidarität. Die Arbeit der Tafel wird damit gewürdigt und als notwendig anerkannt.
Es bleibt für mich eine Gratwanderung zwischen Dank und Anerkennung einerseits, und der Vorsicht, die Spender nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Natürlich will ich mich bei Unterstützern bedanken, aber ich will dabei immer auch auf die Ungerechtigkeiten hinweisen, die solche Spenden überhaupt erst notwendig machen.