Weißt Du wo der Himmel ist?
Neulich im Flugzeug. Langstreckenflug. Gangplatz, wie immer, da kann man die Beine besser ausstrecken. Neben mir sitzt eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn. Ich schätze ihn auf ungefähr sechs Jahre, könnte gut sein, dass er nach den Sommerferien in die Schule kommt. Sie liest in einer Zeitschrift, der Kleine hat Kopfhörer auf und hört Musik oder vielleicht ein Kinderhörspiel aus dem Bordprogramm. Und er drückt sich die Nase am Fenster platt. Während das Wetter am Boden und in den ersten Flugminuten noch eher grau und regnerisch war, zeigt sich nun da draußen eine ganz andere Welt: In einem strahlend-blauen Himmel schweben wir über ein endloses, schneeweißes Wolkengebirge. Ich beneide den Jungen ein wenig um diese wirklich himmlische Aussicht. Jetzt dreht sich der Kleine nachdenklich zu seiner Mutter um. Und weil er den Kopfhörer nicht abnimmt, redet er etwas lauter als sonst und ich kann ihn trotz des allgemeinen Geräuschpegels gut verstehen: „Mama, stoßen die Flugzeuge eigentlich manchmal mit den Toten zusammen?“
Was für eine Frage! – Ich spitze neugierig meine Ohren und entnehme der folgenden Unterhaltung, dass seine Oma vor noch nicht allzu langer Zeit verstorben ist und dass sie nunmehr „im Himmel“ wohnt. Dort würden nämlich alle Toten hinkommen, hatte man ihm erklärt. Weil aber doch auch Flugzeuge durch den Himmel fliegen, könnten die doch nun vielleicht mit den Toten auch mal zusammenstoßen, oder nicht? Darüber hatte der Kleine beim Blick aus dem Flugzeugfenster offenbar nachgedacht.
Gar nicht dumm, sondern kindlich-konsequent zu Ende gedacht ist das. Denn tatsächlich herrscht ja heutzutage viel Verkehr auf dem immer engmaschigeren Netz der Luftfahrtstraßen. Brauchen die Toten im Himmel da nicht am besten auch eigene Fluglotsen?
- Musik -
„Und er wurde zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.“ So erzählt die Bibel (Neues Testament) in der Apostelgeschichte von der „Himmelfahrt“ Jesu, der wir den heutigen Feiertag zu verdanken haben. Seit dem 4. Jahrhundert wird immer 40 Tage nach Ostern der sogenannten Erhöhung Jesu gedacht. Laut der Überlieferung des Lukas soll Jesus nämlich nach seinem Tod am Kreuz und der Auferstehung erst noch eine Zeitlang auf Erden gewandelt sein, wo er sich immer mal wieder zu seinen Jüngerinnen und Jüngern gesellte - bevor er dann in den Himmel auf den Platz zur Rechten Gottes empor gehoben wurde. Zu biblischen Zeiten, lange vor der menschlichen Eroberung des Himmels, damals, als das Fliegen noch allein den Vögeln und den Engeln vorbehalten blieb, war so eine „Himmelfahrt“ tatsächlich etwas unvorstellbar Außergewöhnliches. Ein Wunder eben. Nicht nur Jesus wird so symbolisch als jemand ganz Besonderes hervorgehoben, bereits vor ihm sollen auch schon der Prophet Elija oder laut jüdischer Legende Mose gen Himmel gefahren sein. Katholische und orthodoxe Christen feiern neben der heutigen „Himmelfahrt Christi“ auch noch „Mariä Himmelfahrt“. Es herrscht also ein reger Verkehr dort droben und himmlische Fluglotsen hätten wohl auch ohne die heutige kommerzielle Personenluftfahrt allerhand zu tun. Von ihnen allerdings berichten die heiligen Schriften nichts.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Nein, ich glaube natürlich nicht daran, dass Jesus, Maria oder manche alten Propheten irgendwo über unseren Köpfen in Reiseflughöhe ihre Bahnen ziehen. Auch Gott sitzt für mich nicht als weißbärtiger alter Mann auf einem Wolkenthron. Wo aber ist er dann zu finden, der liebe Gott? Und was ist denn nun mit den Toten, die sich der kleine Junge auf dem Flugzeugsitz nebenan ganz naiv-anschaulich als schwebende Mitbewohner einer göttlichen Himmels-WG vorstellen mag. Welche Antwort hätte ich parat, wenn der kleine Fluggast nebenan mich mit seiner neugierigen Frage gelöchert hätte? Was würde ich ihm erzählen?
- Musik -
„Mama, stoßen die Flugzeuge eigentlich manchmal mit den Toten zusammen?“ hatte der Sechsjährige auf dem Flugzeugsitz neben mir eher neugierig als besorgt seine Mutter gefragt. Und dabei aus dem Flugzeugfenster Ausschau nach seiner lieben Oma gehalten, die doch jetzt beim lieben Gott im Himmel sei, wie die Großen ihm das erklärt hatten.
Weiß Du wo der Himmel ist? Außen oder innen? –
Eine Handbreit rechts und links – Du bist mitten drinnen!
Weißt Du wo der Himmel ist? Nicht so tief verborgen:
Einen Sprung aus dir heraus, aus dem Haus der Sorgen!
Weißt Du wo der Himmel ist? Nicht so hoch da oben!
Sag doch ja zu dir und mir, du bist aufgehoben.
(in hessischen Gesangbüchern Lied 622)
Gut möglich, dass auch der Junge dort am Fensterplatz diese Liedzeilen schon bald im Religionsunterricht in der Schule kennenlernen wird. Bis dahin aber darf seine Oma ruhig auch hier durch dieses wahrhaft himmlische Wolkenreich vor unseren Flugzeugfenstern schweben, finde ich. Solange sie ein wenig aufpasst und nicht mit uns zusammenstößt.