Ostern bewegt
Eine große Kirche. Hohe Säulen. Das Licht scheint durch die langen Fenster herein, die bunten Scheiben geben dem Raum eine angenehme Atmosphäre. In der Mitte stehen keine Bänke und keine Stühle. Der innere Kirchenraum ist völlig frei. Viele Jahrhunderte gehe ich in Gedanken zurück. Es ist Ostern. Dann sehe ich ein etwas eigenartiges Schauspiel. In einem großen Kreis bewegen sich die Priester. In ihren langen schwarzen Gewändern sehen die Bewegungen geradezu elegant aus. Ein Ball wird von einem zum anderen geworfen. Dabei bewegen sich die Priester. Sie gehen nach vorn, mal zur Seite, mal wieder zurück. Und ich kann entdecken: Ihre Schritte sind vorgegeben, denn im Fußboden ist ein Muster gelegt. Es ist ein in sich verschlungener Weg, der vorgezeichnet ist. Die Priester bewegen sich, manchmal ist es, als ob sie tanzen. Ihr Weg führt nach innen und in großem Bogen wieder nach außen. Letztendlich kommen sie in der Mitte an und bringen den Ball dorthin. Sie sind an das Ziel gekommen.
Wenn die Herren tanzen, dann ist Ostern. Vor etlichen Jahrhunderten gehörte dieser Brauch zum Osterfest. Nach dem Gottesdienst wurde spielend ausgedrückt: Es gibt Grund zur Freude. Der Ball ist ein Symbol für die Sonne. Sie steht für das Licht, das an diesem Morgen durch die Auferstehung Jesu über allen Menschen aufgegangen ist. Die Freude darüber wird in Tanz und Spiel ausgedrückt. Damit setzen sie dem Ernst des Lebens das Spiel und die Leichtigkeit entgegen. Der Tod ist überwunden, jetzt gilt es das Leben zu feiern. Die Botschaft von der Auferstehung Jesu bedeutet einen Weg heraus aus der Schwere des Lebens. Der Tod ist überwunden, das hat Konsequenzen: Er muss nicht mehr schrecken und niederdrücken. Sie sind so nah beieinander, der Tod und der Weg in das neue Leben.
Manchmal lebt unser Alltag von dem Kontrast, dass in ernsten und schwierigen Situation eine Heiterkeit und Leichtigkeit einzieht. Wo es passt, kann Lachen eine Situation entkrampfen. Oder wenigstens erträglich machen. Der Besuch bei sterbenden Menschen bewegt sich manchmal zwischen diesen beiden Extremen. Einerseits stehen da die Krankheit und der drohende Tod vor Augen, andererseits bedeutet gemeinsames Lachen, dass die dunkle Seite des Lebens nicht alles überdeckt. Ein Lachen tut beiden Seiten gut. Es kann der Situation die Schwere und Unerträglichkeit nehmen. Der Sieg über den Tod wurde früher in darum auch oft mit einem rituellen Osterlachen verbunden. Lachen führt in ein neues Miteinander und nimmt dem Bedrohlichen die Macht.
MUSIK
Spiel und Tanz gehören in der Bibel zur Gottesanbetung. Spielend und tanzend wird die Freude über das Dasein, der Dank für die Gaben der Schöpfung ausgedrückt. Es gibt einen biblischen Text, der den Tanz und das Spiel vor Gott dem Schöpfer ganz konkret beschreibt (Buch der Sprüche, Kapitel 8). Da ist von der Frau Weisheit die Rede. Sie gehört in die Berichte von der Entstehung der Welt. Sie hat am Schöpfungswerk nicht mitgewirkt, sie hat selbst nichts geschaffen, aber sie hat zugeschaut. Sie weiß Bescheid. Sie kennt die Gesetze dieser Welt. Sie durchschaut die Geheimnisse von den Abläufen der Natur, den Wechsel von Licht und Finsternis, die Folge von Regen, Blitz und Donner, sie kennt sich aus bei Tieren und Pflanzen. Sie hat Einblick gewonnen in die Kräfte, die das Leben dieser Welt bewegen. Richtig lustig ist es, wie Frau Weisheit ihr Dasein vor Gott in den Zeiten der Erschaffung der Welt beschreibt: „Ich war Gottes Liebling und spielte die ganze Zeit vor Gott. Ich spielte auf dem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.“
Das ist die Weisheit von Anfang an gewesen: ein spielendes Wesen, von Gott geliebt. Sie spielt vor Gott, wie Kinder ganz versunken spielen können, oder Gaukler, die ganz herzerfrischend vor Herrschern spielen. Frau Weisheit hat, so wie Gott, Freude an den Menschen. Sie ist ihnen zugewandt und freundlich gesonnen.
Von dieser Heiterkeit empfinden wir heute oft nichts mehr; das Wissen um die Bedrohung unserer Welt, das Verschwinden der Lebensgrundlagen für viele Menschen auf der Erde, der Wassernotstand, die schlechten Ernten, der Hunger, der vernichtende Umgang mit der Natur - da kann einem das Lachen im Hals stecken bleiben. :ennoch: Jedes Frühjahr bringt die Hoffnung auf neue Kräfte, die dem Zerstörerischen die Stirn bieten können. So wie Gott in dem Auferstandenen sogar dem Tod die Macht genommen hat.
MUSIK
Das Labyrinth in einer gotischen Kathedrale hat eine Besonderheit: Es gibt nur einen einzigen Weg, und der führt zum Ziel. Es gibt keine Sackgassen, keine Irrwege, wie das in anderen Labyrinthen oft der Fall ist. Es ist eine lange Strecke. Auf dem Fußboden in einer Kathedrale kann dieser Weg, wenn man ihn abschreitet, mehrere hundert Meter lang sein. Viele Wendungen sind zu bewältigen. Doch der Weg geht immer weiter. Oft scheint es, als sei man schon in der Mitte angelangt, dann ändert sich die Richtung wieder und führt zurück an den Rand. Wer Ausdauer hat, gelangt schließlich zu dem Ziel in der Mitte.
Zum ersten Mal ist mir ein solches Labyrinth auf einem Blatt Papier begegnet. Zur eigenen Besinnung habe ich den Weg mit einem Stift nachgezeichnet. Der Gang durch viele Wendungen hindurch wird dabei zu einem Sinnbild für meinen Glauben an Gott. Manchmal bin ich ganz nah dran, fast am Ziel. Dann fühle ich mich Gott sehr verbunden, erlebe Zutrauen in mein Leben. Doch ich kenne auch die Entfernung zu Gott, den Abstand zur Mitte. Was kann ich glauben? Heute feiern wir Christen, dass Jesus auferstanden ist. Wie kann ich das glauben? Der Apostel Paulus war der Meinung, dass ohne den Glauben an die Auferstehung der ganze christliche Glaube nichts ist.
Ein Patentrezept, Glaubenszweifel zu überwinden, gibt es sicher nicht. Vielleicht gelingt es schon mal auf eher spielerische Weise. Für mich ist schon oft die Musik, vor allem das Singen, eine gute Übung. Die Worte, die ich mitsinge, können mir helfen, Vertrauen zu finden und wieder zur Mitte zu kommen. Während meines Studiums war das eine ganz prägende Erfahrung. Ich konnte singend ausdrücken, was ich niemals mit eigenen Worten hätte formulieren können. Ich konnte sozusagen so tun, als würde ich daran glauben. Das war kein Selbstbetrug, sondern der Versuch, trotzdem zu glauben. Mich selbst ein wenig zu überlisten. Mal so tun als ob. Mich einzuüben in den Glauben. Ganz spielerisch.
Nicht immer ist es passend, ans Spielen zu denken, wenn es einem schwer ums Herz ist. Aber der Glaube, dass der Tod nicht mehr die Macht hat, Leben zu zerstören, hilft. Es tut gut mit Abstand zu betrachten. Lachen kann auch eine Form sein, einen neuen Blick auf etwas zu finden. Das hilft, mit Unabänderlichem leben zu lernen. Oft geht der Weg weit weg von der Mitte. Doch auch Umwege können ans Ziel führen.