In den Himmel kommen
(Musikauswahl: Regionalkantorin Mechthild Bitsch-Molitor, Mainz)
„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.“ So lautet eines der ersten Gebete meiner Kindheit. Und ich gebe zu, es ist wirklich sehr schlicht. Wenn ich das Gebet auf „Google“ eingebe, dann sehe ich: Es spielt immer noch eine Rolle, Menschen diskutieren darüber. Was heißt denn fromm sein? Ich habe es nie so kennengelernt, dass es nur darum geht, angepasst und brav zu sein. Fromm sein ist aber hier die Bedingung dafür, in den Himmel zu kommen. Das wollte ich als Kind auf jeden Fall. Vom Himmel war bei mir in der Kindheit und Jugend oft die Rede: Wir sind in den katholischen Gottesdienst gegangen, wir haben die großen Feste gefeiert und die Heiligen verehrt, wir haben für die Verstorbenen gebetet, dass sie in den Himmel kommen und bei Gott ewiges Leben finden. Das ist für mich keineswegs Vergangenheit. In den Himmel kommen will ich auf jeden Fall, ich verehre die großen und kleinen Heiligen, in den Gottesdiensten öffnet sich für mich der Himmel, die Welt Gottes, schon im Hier und Jetzt. Ich bete auch heute für die Verstorbenen, und hoffe, dass sie ewiges und glückliches Leben bei Gott finden. So wie ich eines Tages auch.
Es gibt ein Leben über den Tod hinaus
Ob ich fromm bin? Der Begriff ist vielschichtig. Er beinhaltet eine religiöse Praxis, eine tiefe Gottesbeziehung und ein entsprechendes konkretes Verhalten im Alltag. Ich hoffe es, aber im Letzten soll es Gott selbst beurteilen.
„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.“ Entscheidend ist für mich tatsächlich: Ich will in den Himmel kommen. Das ist der wichtigste Grund meines Glaubens. Ich glaube an Gott, weil es mir im Hier und Jetzt beim Leben hilft. Aber eben auch, weil ich auf den Himmel hoffe, auf eine ewige Welt Gottes, die er mir bereitet hat. Und zwar nicht nur mir, sondern allen Menschen und sogar der ganzen Schöpfung. Der Glaube an den Himmel ist ein bildhafter Ausdruck für den Glauben an die Auferstehung. Sinngemäß schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth: Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist euer Glaube leer (vgl. 1 Kor 15,13f.). Insofern trifft das kleine Kindergebet den Kern meines christlichen Glaubens. Und es hat auch einen Bezug zu dem Feiertag, den Christinnen und Christen heute begehen: Christi Himmelfahrt. Jesus geht in den Himmel, wie die Apostelgeschichte in der Bibel erzählt. Und das Fest steht auch für die Hoffnung: Es gibt ein Leben über den Tod hinaus.
Ich werde dort nicht allein sein
Musik 1: Johann Sebastian Bach: Der Himmel lacht (BWV 31,2) 4:06 oder kürzer (CD: Bach: Sacred cantatas [14], Esswood/Equiluz/Nimsgern/Van Eg-mond – Wiener Sängerknaben /Chorus Viennensis – Concentus musicus Wien, Ltg.: Nicolaus Harnoncourt).
Ich hoffe als Christ auf den Himmel, auf ein Leben über den Tod hinaus: Am Fest Christi Himmelfahrt feiern Christinnen und Christen diese Hoffnung. Ich feiere mit der Gemeinschaft der Glaubenden diese Hoffnung auf einen Himmel, eine Welt Gottes, in der ich einmal leben werde. Ich werde dort nicht allein sein, sondern ich werde dort leben in der Gemeinschaft aller Erlösten und in einer neuen Schöpfung.
Immer so weiter, ohne Ende...
„Was sollen wir im Himmel, wir kennen da sowieso niemanden.“ Es gibt online T-Shirts mit diesem Aufdruck zu kaufen. Wenn dem Kindergebet zufolge nur die Frommen in den Himmel kommen, finden sich dort die Angepassten, die Braven, die Langweiligen. Die wirklich interessanten Leute sind dort dann nicht: die Widerständigen, die Menschen mit eigenem Kopf, die Menschen mit Schattenseiten. Sie sind aber eigentlich die Interessanten, nicht die Frommen. Ist so ein Satz mehr für mich als ein flotter T-Shirt Aufdruck, dann will ich ihn ernst nehmen. Bestimmte Vorstellungen vom Himmel, vom ewigen Leben, sind eher abstoßend. Bei manchen Bildern im Kopf kann ich gut verstehen, dass Menschen sagen: Ich will gar nicht in den Himmel kommen, der Gedanke an ein ewiges Leben ist eher eine unangenehme Vorstellung. Alles geht so weiter, wie es jetzt ist: Das ist für manche geradezu eine Schreckensvision. Tatsächlich wäre es das auch für mich: Immer so weiter, ohne Ende – da wäre die Verheißung Jesu, dass er ewiges Leben schenkt, wirklich keine erfreuliche Nachricht.
Das wäre keine Hoffnung für mich
Es gibt einen Film mit dem Titel „Täglich grüßt das Murmeltier“: In diesem Film durchlebt jemand jeden Tag immer wieder den gleichen Tag, den gleichen Wahnsinn. Wenn jemand eine solche Vorstellung von Ewigkeit hat, verwundert es mich nicht, dass manchem vor der Ewigkeit graut. Es kann auch sein, dass Menschen ihr Leben so satthaben, dass ihnen schon die irdische Zeit genügt. Und dann auch noch eine Ewigkeit? Und andere sagen, sie wollen das Hier und Jetzt so sehr genießen, dass sie es eines Tages voll ausgekostet haben werden, und es genügt ihnen, in der Erinnerung der Menschen weiter zu leben. Auch hier herrscht ja die Meinung, das ewige Leben, von dem der Glaube spricht, habe eigentlich nichts Neues mehr zu bieten. Andere unterstellen: Gläubige Menschen würden nur ihre irdischen Wünsche auf den Himmel projizieren, der Glaube an Gott und seinen Himmel wäre ihnen ein frommer Wunsch. Wer nur auf den Himmel setzt, wird als lebensuntüchtig auf dieser Erde eingeschätzt. Der Himmel allein, ohne Bezug zur Erde: Das wäre für mich tatsächlich keine Hoffnung.
Ewigkeit heißt Lebensfülle
Ewigkeit kann man sich nicht vorstellen, aber es kann sich nicht um eine gefühlt unendlich lange Dauer handeln. Anfang des 6. Jahrhundert nach Christus macht sich auch einer der großen Philosophen, Boethius, darüber Gedanken. Wie ist es jenseits von Zeit und Raum? Was heißt Ewigkeit? Er nennt die Erfahrung der Ewigkeit „den vollständigen und zugleich vollkommenen Besitz unbegrenzten Lebens.“ Ewigkeit heißt Lebensfülle. Der Himmel ist Fülle des Lebens. Wir leben auf dieser Erde in Raum und Zeit, und ich merke: Sprache und Vorstellungskraft kommen an Grenzen.
Musik 2: Henryk Górecki, 3 Olden Pieces I [4 - 3:17] (CD: Górecki: Symphonie Nr. 3 [4], Polish National Radio Symphony Orchestra, Ltg: Antoni Wit).
Es geht um etwas ganz Neues
Seine Hoffnung auf den Himmel, auf ewiges Leben, fasst der Apostel Paulus zusammen mit den Worten: „Wir verkünden, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9). Auch er wusste: Menschliches Denken und menschliche Sprache können nicht treffend ausdrücken, worin letztlich die christliche Hoffnung besteht. Gottes Möglichkeiten sind immer größer als menschliche Vorstellungen. Es geht also nicht einfach um ein „Weiterleben“, wenn wir vom Himmel sprechen. Es geht um etwas ganz Neues, Unerhörtes, noch nie Gesehenes. Paulus warnt davor, den Himmel mit den eigenen „Projektionen“ gleichzusetzen. Der Himmel ist nicht das Ergebnis menschlicher Wünsche. Der Glaube an das ewige Leben ist nicht Opium für das Volk oder das Opium des Volkes, wie es Kritiker der Religion verstanden haben. Ein Blick in die Bibel belegt das.
Sie können es nicht glauben
Die verschiedenen Bücher der Heiligen Schrift des Judentums und des Christentums entstehen in einem Zeitraum vieler Jahrhunderte. In den ganz alten Büchern kommt der Glaube an ein ewiges Leben nach dem Tod noch nicht vor. Gott allein ist ewig, der Mensch sterblich. Er lebt weiter in seinen Nachkommen, im Gottesvolk, in der Erinnerung der Nachfahren. Erst nach und nach kristallisiert sich die Hoffnung auf ein ewiges Leben des Menschen heraus. Vorher steht der Glaube an den ewigen Gott, daraus erwächst die Hoffnung auf den Himmel für den Menschen. Auch zur Zeit Jesu gibt es noch die Gruppe der Sadduzäer, die den Glauben an die Auferstehung des Menschen ablehnen. Menschen konnten religiös sein, ohne diese Perspektive zu haben. In den Erzählungen der Evangelien vom Ostermorgen lese ich von Menschen, die keineswegs leichtfertig an die Auferstehung glauben – ganz im Gegenteil. Sie können es nicht glauben. Der Glaube daran, dass Jesus lebt, und zwar in einer neuen ungeahnten Weise, wird mit vielen Geschichten verdeutlicht. Er geht und spricht mit den Menschen, aber sie erkennen ihn nicht. Er isst sogar, er trägt die Wunden des Kreuzes an seinem Leib, er lässt sich berühren, aber nicht festhalten.
Er ist und bleibt immer bei Ihnen
Die Evangelien erzählen: 40 Tage lang schenkt Jesus seinen Freunden und Freundinnen diese Erfahrung einer innigen Nähe, danach aber geht er „in den Himmel“. Er ist nicht mehr sichtbar ist, aber dennoch in ihrer Nähe. Das ist „Himmelfahrt“. Wir lesen die Erzählung in der Apostelgeschichte des Neuen Testaments. Dort führt Jesus seine Jünger auf einen Berg, eine Wolke verhüllt ihn, und zwei Engel sind dort, die das Ereignis deuten. Zunächst einmal ist die Himmelfahrtserzählung voll von Bildern, die uns helfen sollen, zu verstehen, was da geschehen ist. Die Wolke ist ein altes Bild für Gottes Gegenwart. Christus geht in die Welt Gottes, seines Vaters ein. Zwei Männer, zwei Engel sind notwendig, die das bezeugen, denn zwei Zeugen sind erforderlich, um die Wahrheit eines Sachverhaltes zu garantieren. Aber natürlich ist die Himmelfahrtserzählung nicht nur ein Bild. Historisch ist etwas Wahres geschehen. Die Jünger erfahren nach Ostern: Jesus lebt! Der Auferstehungsglaube ist kein Phantasieprodukt oder ein frommer Wunsch. Sie werden durch die Begegnung mit dem Auferstandenen zu Zeuginnen und Zeugen der Liebe Gottes und der Frohen Botschaft. Sie wissen, dass Jesus lebt und die Welt nicht verlässt. Er ist immer bei ihnen, und sie sollen dies mit ihrem ganzen Leben verkünden.
Musik 3: Johann Sebastian Bach: h-moll-Messe, Credo, Et resurrexit [CD 2, 6 – 3:38] (CD: J.S. Bach, Messe in h-moll BWV 232 [CD 2: 6], Sampson/Vondung/Johannsen/Berndt - Gächinger Kantorei Stuttgart – Freiburger Barockorchester, Ltg. Hans-Christoph Rademann).
Eine Welt, in der es keine Tränen mehr gibt
„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.“ Wenn ich so bete und wenn mir der Himmel etwas bedeutet: Dann will ich natürlich auch wissen: Wie sieht dieser Himmel aus? Wie wird es sein in diesem Himmel? Nach den Worten des Apostels Paulus wird es für unsere jetzigen Möglichkeiten unbeschreiblich. Die Texte der Bibel stillen meine Neugier nicht, vielleicht ganz im Gegenteil. Sie machen durch Bilder und Vergleiche noch neugieriger. Die Bibel sagt zum Beispiel: Der Himmel ist wie ein großes Festmahl, es gibt Essen und Trinken in Hülle und Fülle. Darin steckt für mich die Botschaft: Der Himmel wird nicht nur eine Erfahrung individuellen Glücks und persönlicher Erfüllung sein, sondern: ohne Gemeinschaft und Beziehung kein Himmel. Ein anderes biblisches Bild beschreibt den Himmel als eine Welt, in der es keine Tränen mehr gibt. Es wird eine neue Schöpfung sein, in der Frieden herrscht und jede Träne abgewischt wird. Auch ich hoffe darauf: All mein Leid wird im Himmel zu Ende sein.
Gottes Welt ist hier und jetzt gegenwärtig
Ein anderes Bild spricht von einer offenen, hellen Stadt, in der Menschen aller Völker zusammenkommen zum großen Mahl des Friedens. Und ich stelle mir vor, es wird eine unbeschreibliche Erfahrung von Liebe und Begegnung sein, mit Gott selbst und seinem Sohn Jesus Christus, der die Liebe ist. Wie es sein wird, weiß ich nicht, aber ich glaube auch: Menschen, die für mich auf Erden wichtig waren, kommen dort mit mir in eine nie gekannte Nähe. Vielleicht wird Jesus, der im Himmel ist, auch mir alle Tränen abwischen und mir durch seine Nähe und Freundschaft die unendliche Lebensfülle schenken.
Ein wichtiger Punkt für die biblischen Texte ist aber: Der Himmel ist nicht nur Jenseits, Gottes Welt ist hier und jetzt gegenwärtig und erfahrbar. Wenn der Himmel darin besteht, dass es keine Trauer, keinen Krieg und kein Leid mehr geben wird, beginnt der Himmel sich dort zu öffnen, wo ich mich bereits heute dafür einsetzen, für diesen Frieden, diese Lebensfülle, dieses Heil für alle.
Musik 4: Johann Sebastian Bach: h-moll-Messe, Credo, Et exspecto [CD 2, 9 – 2:33] (CD: J.S. Bach, Messe in h-moll BWV 232 [CD 2: 9], Sampson/Vondung/Johannsen/Berndt - Gächinger Kantorei Stuttgart – Freiburger Barockorchester, Ltg. Hans-Christoph Rademann).
Eine persönliche Quelle von Hoffnung...
„Mach mich fromm“, bete ich. Ich kann das auch übersetzen mit: Mach mich mitfühlend und mutig, damit ich mich für den Himmel und die Lebensfülle anderer einsetze. Wir feiern das Fest Christi Himmelfahrt in einer Zeit, in der für viele Menschen der Himmel leer oder verschlossen zu sein scheint, in der es vielen Menschen schlecht geht, die im Krieg oder auf der Flucht leben, die mein Mitleid brauchen. Für mich ist der Himmel und die Hoffnung auf den Himmel wichtig, gerade auch, wenn es darum geht, mich für das Leben und das gute Leben für alle Menschen hier auf Erden einzusetzen. Eine persönliche Quelle von Hoffnung und wirklichem Leben: Die brauche ich, und ich wünsche sie allen Menschen. Ich meine sogar: Es braucht gerade heute in unserer Welt Christinnen und Christen als Menschen, die Hoffnung machen: indem sie den Blick auf den Himmel, auf Gottes Welt offenhalten.
Musik 5: Georg Friedrich Händel (1685-1759): La Resurrezione, Sonate [CD 1,1 – 3:34] (CD: Händel / La Resurrezione, Philharmonia Baroque Orchestra, Ltg. Nicolas McGegan).