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Kansas: Dust in the wind
Bildquelle: pixabay

Kansas: Dust in the wind

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Songtext "Dust In The Wind" mit Übersetzung

Was für ein sanftes, berührend-melancholisches Intro. Es ruft bei mir sofort Jugenderinnerungen wach. Ich kenne den berühmten Song so gut…

Die „Poesie der Indianer“ liefert ihm den Textimpuls

Kerry Livgren war mit Kansas, seiner amerikanischen Rockband, 1977 gerade von einer erfolgreichen Tournee zurückgekehrt. Endlich mal wieder ein gemütlicher Abend mit seiner Frau. Seine E-Gitarre, für deren wilden und meist kräftig-rockigen Einsatz er berühmt ist, ruht im Kasten. Er greift sich eine AkustikGitarre, auf der er musikalisch eigentlich überhaupt nicht zuhause ist, und zupft diese kleine Melodie. „Merk‘ sie dir und mach‘ was draus!“ Seine Frau ist deutlich mehr begeistert als er selbst. Aber diese besondere Spieltechnik, das sogenannte Fingerpicking, auf Deutsch würde man „Töne pflücken“ sagen, die er hier gerade probiert, die will und wird er sich umgehend beibringen. Ein Buch über die Poesie der Indianer, das er gerade liest, liefert ihm den TextImpuls für den Song, der hier gerade entsteht… (1977 sagte man noch unbedarft „Indianer“, statt „indigene Völker“…).

Eine der berühmtesten PopBalladen aller Zeiten

Als seiner Band dann einige Wochen später noch eine letzte Nummer für die neue Plattenproduktion fehlt, spielt er ihnen voller Selbstzweifel: „Ich glaub, das ist nix; das ist kein Rock; das ist nicht Kansas“ sein neues Lied vor. Aber die anderen sind richtig aus dem Häuschen. So wird es nicht nur der so ziemlich erfolgreichste KansasSong, sondern eine der berührend-berühmtesten PopBalladen aller Zeiten.

Und unserer SinnsucheSommerreihe verleiht „Dust in the wind“ einige überraschend andere Dimensionen und Perspektiven von „Raus in die Natur“

All meine Träume verwehen wie Staub im Wind

„Ich schließe meine Augen, nur ein kurzer Moment und schon ist er vergangen. All meine Träume ziehen an mir vorbei, flüchtige Episoden. Wie Staub im Wind. Alles was sie sind, Staubkörner im Wind.“

Die schwere Wahrheit in sanfte Töne verpackt

„Staub im Wind“, da mögen einem heiße SommerAutobahnen oder WüstenStürme einfallen. Keine wirklich lockenden Bilder für „Raus in die Natur“. Ja, wir haben es hier mit einer textlich wie musikalisch melancholischen Ballade zu tun. Es kommt schon auf das „Gewand“ an, in dem uns eine Wahrheit begegnet. Davon hängt wesentlich ab, ob wir sie akzeptieren können. All unsere Träume, wie schnell gehen sie oft kaputt, verfliegen im Wind. Das stimmt ja leider. Und ich kenne den Schmerz, den das bedeutet. Aber in dieses weiche KlangKleid aus harmonisch gezupften Tönen gehüllt und von dieser einfühlsamen Singstimme mit brüchigem Charme vorgetragen, später in harmonischer Vielstimmigkeit, da kann ich die schwere Wahrheit vom Zerstieben der Träume viel leichter an mich heranlassen. Da kann ich mich überhaupt einem Bild meines Lebens annähern, das auch die Schatten und die dunkleren Seiten zeigt. Ich muss vor diesem ungeschönten Bild nicht in Angst oder Fluchtgedanken versinken, weil eine Melodie, weil ein Gesang mich trägt. Was für eine existenzielle Kraft der Musik. Wie schön!

Erkennen, dass wir nur Staubkörner im Wind sind

„Das alte Lied: Nur ein winziger Wassertropfen im endlosen Meer. Alles, was wir tun, zerbröselt schließlich, geht zugrunde, auch wenn wir das nicht wahrhaben wollen. Staub im Wind. Alles was wir sind, Staubkörner im Wind.“

Statt „Krone der Schöpfung“ nur ein Tropfen im großen Meer

„Raus in die Natur“ bedeutet mit diesem Song im Ohr und im Gemüt weder klassische WandelvogelIdylle noch hippes FreiluftVergnügen. Mit „Dust in the wind“ wird die Natur zur „Kontrastfolie“ und zur VergänglichkeitsMetapher für unser Leben. Eine - wie ich finde - wichtige und gesunde MahnerFunktion, die der gesamten Schöpfung hier zukommt. Sie relativiert jene menschliche Hybris, der wir leicht anheimzufallen geneigt sind, wenn wir unsere Spezies selbstverliebt zur „Krone der Schöpfung“ hochjubeln. Dabei dann gerne den „Rest der Natur“: Tiere, Pflanzen, Biosphären schonungslos unseren NutzInteressen unterwerfen.

Lernen von den indigenen Völkern

Der Song konterkariert diese Neigung zum menschlichen Größenwahn aber nicht mit Umweltideologien, NachhaltigkeitsParolen oder moralinsaurer Verbotsmentalität. Deren Dilemma ist ja: Sie sind zwar meist im Recht, dabei aber so wenig „sexy“, dass man einfach keine Lust hat, ihnen zu folgen. Unser Song serviert mit sanftem MelancholieTon die lapidare Erkenntnis: Wir sind nichts als ein Tropfen Wasser im großen Meer und all unser – noch so eitles – Tun zerbröselt im Wind. Staub zu Staub. Dieses völlig undramatische Einordnen und Zurechtrücken unserer Stellung als Menschen im Universum, das gefällt mir an „dust in the wind“ ganz besonders. (Der Autor des Liedes hat selbst darauf hingewiesen, dass ihn für den Text die Lebensweisheit indigener Völker inspiriert hat. Sie leben mehr im Einklang mit der Natur und mit Respekt vor der Schöpfung als wir, die Völker der sogenannten „westlichen Zivilisation“. Mich erinnert „dust in the wind“ an einen großen, starken Bibeltext im Alten Testament beim Prediger Kohelet: „Alles Leben ist Windhauch…“ vgl. Prediger 1,2)

Die Geige führt ein kleines Selbstgespräch

Nun kommt in unserem Song, immer sanft von den GitarrenRiffs umspielt, ein halbminütiges Geigensolo. Als hätte uns der Text nun schon genügend schweren Inhalt zugemutet, darf sich die Seele auf der feinen Melodieführung etwas ausruhen. Fast klingt es, als würde die Geige mit „Frage und Antwort“ ein kleines, kanonartiges Selbstgespräch führen:

Eigentlich aber bereitet uns die Musik auf einen der rätselhaftesten TextMomente vor, die der Song für uns parat hat:

Nichts bleibt für immer - außer Erde und Himmel

„Also, klammer dich an nichts! Nichts bleibt für immer außer Erde und Himmel. Alles entgleitet uns; und mit all deinem Geld kannst du dir nicht eine Minute hinzukaufen.“

Unseren Platz in der Schöpfungsordnung erkennen

An dieser Strophe ist mir alles plausibel, außer der rätselhaften Stelle – dass die Erde für immer bliebe, also Bestand habe und nicht vergänglich wäre? Das widerspricht irgendwie meinem naturwissenschaftlichen Kenntnisstand. Alles Irdische ist doch nun mal vergänglich. Ich deute diese Stelle so, dass es auch hier wieder um die besondere Schöpfungsordnung geht, der sich unser Song verpflichtet zeigt. Die Welt ist zwar letztendlich auch vergänglich, aber sie ist trotzdem „größer“ als wir Menschen, steht – zusammen mit dem Himmel – „über“ uns. Und wir täten gut daran, uns ihr etwas bescheidener ein- und unterzuordnen.

Musikalisch-melancholischer Trost bei geplatzten LiebesTräumen

(Als ich jung war, habe ich mit Hilfe dieser berührenden RockBallade, mehr intuitiv und wegen ihrer musikalisch-melancholischen TrostKraft, als aus tieferem Textverständnis, so manchen geplatzten LiebesTraum durchlitten. Heute höre ich den alten Song ganz neu.)

Trotz seiner traurigen Inhalte stärkt mich dieses Lied

Woher kommt es nur, dass dieses Lied mit seinen doch ausschließlich negativen Bildern von Verlust, Zerstörung und Vergänglichkeit, mich kein bisschen runterzieht. Im Gegenteil: es setzt in mir Stärke frei und Kraft.

Etwas mehr Respekt und Staunen gegenüber der Natur

Es hat für mich – ohne „fromm“ zu sein – tatsächlich eine tiefe religiöse Dimension. Es wird zu einem modernen „memento mori“: gedenke Mensch, dass du vorläufig bist und sterblich. Du findest, Mensch, zu deiner wahren Größe, wenn du dich „kleinmachst“. Nein, nicht die anderen kleinmachen, auch nicht die Natur kurz- und kleinschlagen. Dich selbst zurücknehmen und kleinmachen, wenigstens ein bisschen. Etwas mehr Respekt und Staunen. Und die „Nase ein bisschen runter“.

Unsere menschliche Natur in Einklang bringen mit der Schöpfung

Aus „Raus in die Natur“ wird hier ganz unmerklich ein „Rein in die Natur“. Auf dass wir unsere menschliche Natur in Einklang bringen und halten mit der ganzen Schöpfung. Das Große wird dann zum Widerhall des Kleinen. Und umgekehrt. Ein Staubkorn im Wind…

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