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Kraftquellen

Kraftquellen

Stefan Claaß
Ein Beitrag von Stefan Claaß, Evangelischer Pfarrer und Professor, Theologisches Seminar Herborn
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Manche Sportereignisse bleiben lebenslang im Gedächtnis. 40 Jahre ist es her, dass ich gebannt vor dem Fernseher saß und mitfieberte. 3000 Meter Hindernislauf im internationalen Wettbewerb.

Patriz Ilg und seine Aufholjagd

Patriz Ilg war einer der weltbesten Athleten in dieser Disziplin. Diesmal lief er mit großem Abstand hinter den anderen her. Keine Chance auf eine Medaille. Aber dann. Was für eine Aufholjagd, was für ein Endspurt: an allen vorbei und als erster durchs Ziel. Diese Überraschung, diese Szene werde ich nie vergessen. Hatte er das so geplant? Woher hat er die Kraft genommen, am Ende alle zu überholen? Sagenhaft.

Auf den Endspurt kommt es an

Immer wenn die Rede auf Endspurt kommt, muss ich an Patriz Ilg denken. Oder, wie jetzt im Sommer, an meinen Freund Martin aus der Schulzeit. Kein Sportler, aber ein Genie im Endspurt des Schuljahres. Die meiste Zeit des Jahres ließ er den Unterricht an sich vorüberziehen ohne allzu viel Energie zu investieren. Aber so drei bis vier Wochen vor den Zeugniskonferenzen fing er an, sich zu melden und aktiv zu werden. Es hat fast immer geklappt. Sein Endspurt wurde von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer gewürdigt, auch wenn sie sein Spiel durchschauten.

Auf das Ziel konzentrieren und nicht ablenken lassen

Erfolgreicher Endspurt, gute Ergebnisse bei sparsam eingesetzter Energie. Die muss man gut einteilen, im Sport wie in der Schule und überhaupt im Leben. Das gilt sogar für alle, die als Christen leben wollen. Der Apostel Paulus, ein biblischer Reiseprediger, vergleicht es einmal mit einem Lauf in der Arena. Jeder, so sagt er, soll doch bitte so laufen, dass er oder sie alle Energie einsetzt und sich auf das Ziel konzentriert. Nicht ablenken lassen, nicht aufgeben.

Woher nehme ich neue Energie, wenn der Akku leer ist?

Warum erzähle ich Ihnen heute Morgen von der Arena und langen Schuljahren? - In meinem Umkreis höre ich in letzter Zeit recht oft den Satz, dass der Akku leer sei, die Energie auf Reserve. Die vielen Herausforderungen im eigenen und im politischen Leben der letzten Zeit haben ihren Preis. Und dann kommt die Frage: Woher bekomme ich neue Energie weiterzulaufen und mich nicht hängen zu lassen?

„Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben.“

Der Apostel Paulus schreibt an eine Gemeinde folgenden Satz: „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben.“ Dieser Satz klingt wie ein Anfeuerungsruf, und ich finde, er hilft bei der Frage, woher ich Energie bekomme.

Musik

„Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben.“ Dieser Satz des Apostels Paulus klingt wie ein Anfeuerungsruf für alle, die unterwegs sind. Egal ob in der Schule, in der Politik oder im Büro. Die Frage, woher ich Kraft für meinen Alltag beziehe, stellt sich allen. Jeden Tag. Biologisch lässt sie sich beantworten mit Schlaf, gesundem Essen und Freizeit. Aber wie steht es mit den seelischen Kräften? Woher bekomme ich Zuversicht. Denn unsere Kinder sollen nicht nur Probleme von uns erben. Wo kriege ich Energie her? Ich will mich auf Zukunft auch freuen.

Gottes Spuren in der Welt sehen

Paulus sagt: „Evangelium“. Damit meint er: Lernt sehen! Seht Gottes Spuren in der Welt. Es ist nicht so viel anders als in biblischen Zeiten. Gott ist mitten unter uns unterwegs. In Menschen, die etwas von seiner Liebe und Unterstützung verkörpern. Das Evangelium ist nichts, was wir haben oder besitzen könnten, wir können es nur in immer wieder neuen Gestalten erleben.

Ein Ort, der viel Lebenskraft braucht

Ich erzähle Ihnen von einem meiner Vorbilder. Ein Pfarrer, schon im Ruhestand, ist regelmäßig zu Besuch in einer Klinik für psychisch erkrankte Menschen. Manche sind sehr lange in dieser Klinik, manche sogar für immer und manche immer mal wieder. Einige von ihnen können geheilt werden, andere kommen immer wieder. Diese Klinik ist ein Ort, an dem enorm viel Lebenskraft gebraucht wird, um über jeden einzelnen Tag zu kommen.

Andere in ihrem Lebenslauf anfeuern

Und dieser Pfarrer engagiert sich als einer, der andere in ihrem Lebenslauf anfeuert. Er hört zu, auch wenn er die Geschichten schon x-mal gehört hat. Denn es geht nicht um Information, sondern um menschliche Zuwendung. Er ist da. Er spendet Kraft. Woher kriegt er sie für sich selbst? Er findet sie in seinem Gottvertrauen, im Gespräch mit Gott. Manchmal findet er viel und manchmal auch weniger.

Zeit nehmen und zuhören

Wie gibt er sie weiter? Er nimmt sich Zeit und setzt sich zu den Leuten. Oder er geht mit ihnen spazieren. Er hört zu. Aber dann sagt er seinen Leuten nicht: Kopf hoch, das wird schon! Er sagt stattdessen: Gott behüte dich. Gott segne dich. Er spricht ihnen die Kraft Gottes zu, die aufbaut und anfeuert.  

Musik

Menschen, die glauben, haben auch großes Vertrauen

Paulus war überzeugt: „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben.“ Was heißt denn hier glauben? Das Wort, das Paulus verwendet, heißt im Original eher „vertrauen“. Mir hilft diese scheinbar kleine Veränderung. Beim Wort „glauben“ fragen wir im Deutschen immer gleich: Ja was denn? Da geht es dann um Informationen, Behauptungen, um „etwas glauben“.

Ich halte mich lieber an die andere Variante: Menschen, die glauben, sind Menschen, die vertrauen. Da geht es nicht um etwas, sondern um ein Gegenüber. Ich vertraue jemandem. Ich vertraue bestimmten Menschen, die sind mir kostbar. Mit einem Freund laufe ich hin und wieder durch den Wald und wir erzählen uns sehr persönliche Gedanken und Sorgen. Ich vertraue ihm, die Zeit mit ihm tut mir gut.

Ich bin auch dankbar für die Zeiten, wenn ich Gott vertrauen kann. Dann laufe ich zuversichtlicher durchs Leben. Ob ich Kraft schöpfen und weiterlaufen kann, entscheidet sich für mich daran, wie weit ich Gott in einer Situation meines Lebens vertrauen kann. Und welchen Menschen.

Wem kann ich vertrauen?

In der gegenwärtigen Zeit mit Krieg und Klimafragen brennt diese Frage täglich in meinem Herzen: Wem kann ich vertrauen? Welchen Bildern, welchen Hoffnungen kann ich Glauben schenken und neue Energie daraus ziehen?

Vertrauen braucht Zeit

Damit ich jemandem vertrauen kann, brauche ich Zeit und Erfahrungen. Das funktioniert nicht so wie bei Martin in der Schule: kurz vor den Zeugnissen aktiv werden und dann klappt die Sache. Vertrauen schenken und andere Menschen gewinnen, das erinnert mich viel mehr an einen langen und anstrengenden 3000-Meter-Hindernislauf wie bei Patriz Ilg.

Ein Teil meiner Kraft fließt mir von außen zu

Ein Teil der Kraft kommt aus mir, aus meiner Erfahrung und aus Selbstvertrauen. Aber die Kraft, die mir darüber hinaus noch zufließt, die entscheidet, ob ich das Ziel erreiche. Im Stadion sind das Anfeuerungsrufe und Applaus. Im Lebenslauf sind das Sätze und Gesten von Menschen, die mir etwas von der Kraft Gottes zufließen lassen. Die kann ich dann auch weitergeben an andere. Ihnen zum Beispiel, heute am Sonntagmorgen. Darum sage ich: Gott segne Sie und behüte Sie!

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