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Leben gegen den Tod
Bild: Pixabay

Leben gegen den Tod

Stephanie Rieth
Ein Beitrag von Stephanie Rieth, Bevollmächtigte des Generalvikars und Dezernentin im Bistum Mainz
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Frohe Ostern wünsche ich Ihnen - auch heute am Ostermontag noch einmal! Ich finde es schön, dass es diesen zweiten Feiertag gibt. Der Tag heute tut mir gut. Er tut mir gut, weil ich heute Zeit habe: zum Ausruhen, zum Spazierengehen, um mit der Familie zusammen zu sein - kurz: den Tag zu etwas Besonderem zu machen.

Ein ganz besonderer Stellenwert

Ich finde es auch deshalb schön, weil das Land, in dem ich lebe, mit diesem gesetzlichen Feiertag anerkennt: Dieses Fest hat für uns Christinnen und Christen einen ganz besonderen Stellenwert.

Ostern - das bedeutet: Wir feiern, dass Jesus von den Toten auferstanden ist, dass das Leben über den Tod gesiegt hat. Und das ist nicht nur zwei Feiertage wert, sondern ganze sieben Wochen, denn so lange dauert der Osterfestkreis, mit dem die Kirche unterstreicht, wie wichtig die Botschaft vom Leben ist, das den Tod besiegt.

Leben, das den Tod besiegt - das ist schwer zu glauben in diesen Tagen.

Er rückt uns nahe...

Ich bin immer wieder entsetzt, wenn ich die Nachrichtenbilder aus der Ukraine sehe, wenn ich sehe, wie brutal und grausam dort Krieg geführt wird gegen ein freies Volk, gegen unschuldige Menschen, gegen Kinder und Wehrlose. Menschen müssen aus ihrem Heimatland fliehen, ihre Häuser werden dem Erdboden gleichgemacht, die Infrastruktur und das, was es zum Leben braucht, zerstört.

Kriege und Konflikte gibt es an vielen Orten dieser Erde. Aber diesen hier nehmen wir ganz anders wahr, weil er Nachbarn betrifft, weil er uns nahe rückt. Und ja, weil wir die Auswirkungen zu spüren bekommen – weil Mehl und Öl in unseren Läden fehlen und die Preise steigen. Weil viele Ukrainerinnen und Ukrainer in unserem Land vorübergehend ein neues Zuhause finden.

Dem Krieg zum Trotz!

Wir können im Moment nur ahnen und fürchten, welche Konsequenzen dieser Krieg noch für uns haben könnte, wenn das Gas so knapp wird, dass es nicht mehr für alle und alles reicht, wenn uns im besten Fall ein jahrelanger kalter Krieg bevorsteht, der hoffentlich nicht noch an anderen Stellen in Europa eskaliert. Eine mögliche Rezession wird auch Einfluss auf unser Leben, auf unseren Wohlstand haben – auch wenn das natürlich weit weniger wichtig scheint im Vergleich zu dem, was das ukrainische Volk durchmacht, im Vergleich zu den Toten, Verletzten, Vertriebenen des Krieges.

Leben, das den Tod besiegt - das ist gerade wirklich schwer zu glauben.

Und trotzdem feiern Christinnen und Christen auch heute Ostern - dem Krieg zum Trotz.

Ein Gedicht, das vom Leben spricht

Leben, das den Tod besiegt. Ich brauche diese Botschaft im Moment ganz besonders. Als Botschaft gegen den Tod, der uns mit der Ukraine gerade so nahe rückt.

Es gibt ein Gedicht, das mich in diesen Tagen sehr beschäftigt. „Das Zeichen“ heißt es, und es stammt von Schalom Ben-Chorin, einem jüdischen, deutsch-israelischen Journalisten und Religionswissenschaftler mit dem wunderbar sprechenden hebräischen Vornamen, der übersetzt Frieden heißt.

Er musste 1935 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen und hat aus der Ferne in Israel mit Sorge auf sein Heimatland geschaut.

1942, als der Krieg in Deutschland und die Vernichtung seines Volkes in eine ganz neue, brutale Phase eingetreten ist, hat er ein Gedicht geschrieben, das vom Leben spricht - dem Tod und der Vernichtung zum Trotz.

Es heißt in dem Gedicht:

„Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,

ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?

Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit,

achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.

Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,

das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg.“

Diese Worte berühren mich heute am zweiten Osterfeiertag ganz besonders, aber sie gehen schon die ganzen letzten Tage mit mir.

Das Leben vergeht trotzdem nicht

Schalom Ben-Chorin hat sich für die Hoffnung entschieden, gegen die Realität des Todes. Und der blühende Mandelzweig ist für ihn das Zeichen für ein Leben, das nicht besiegt werden kann.

Er geht nicht über die vielen Toten hinweg, das Blut, das vergossen wurde und schreit, wie er es beschreibt und wohl auch empfunden hat. Aber er stellt eben auch fest und für ihn ist das immens wichtig: Das Leben vergeht trotzdem nicht.

Der Schwere des Krieges, der Tausende zerstampft und eine Welt vergehen lässt, steht das Leben mit seiner Leichtigkeit gegenüber, das Leben, das wie ein Zweig voller Blüten leicht im Wind weht.

Der Mandelzweig...ein biblisches Bild

Der blühende Mandelzweig - an diesem Zeichen richtet sich der Dichter auf: Es ist für ihn ein Fingerzeig, ein Hinweis, der ihm klarmacht: Das Leben siegt.

Das Bild vom Mandelzweig ist ein biblisches Bild. Es gibt eine Stelle in der Bibel, im Alten Testament, da lese ich von einer Vision des Propheten Jeremia. Gott fragt ihn: „Was siehst du, Jeremia?“ Er antwortet ihm: „Einen Mandelzweig sehe ich.“ Und Gott deutet dieses Bild, er sagt: „Du hast richtig gesehen; denn ich wache über mein Wort und führe es aus.“ (Jer 1,11f.)

Ich wache über mein Wort und führe es aus: Ich höre darin: Ich, Gott, stehe zu meinem Wort, zu meinem Wort, das ich der Schöpfung gegeben habe, denn dafür steht der Mandelzweig - für die Schöpfung, für das Leben.

Er sorgt für den SIEG des Lebens

Dieses Bild gibt mir Hoffnung in diesen Tagen, in denen uns der Krieg in der Ukraine mit seiner Grausamkeit und Not so nahekommt, und ich will daran glauben: Gott steht zu seinem Wort und sorgt dafür, dass das Leben siegt.

Das Leben siegt - Krieg und Tod zum Trotz. Davon erzählt das Osterfest und auch das Gedicht von Schalom Ben-Chorin vom Zeichen des blühenden Mandelzweigs. Mich hat dieses Gedicht in den letzten Tagen begleitet, und ich habe einige Male einen solchen blühenden Mandelzweig in meinem Alltag entdeckt. Da war der Anruf von einem Mainzer Arzt vor ein paar Wochen, der auch Busfahrer ist. Er hat mir erzählt: „Ich bin jetzt schon zweimal an die ukrainische Grenze gefahren, um Medikamente hinzubringen. Nächste Woche fahre ich mit einem Bus zur Grenze und nehme so viele Frauen und Kinder von dort mit, wie in den Bus passen.“ Er wollte sich vernetzen - mit Kirche und Caritas.

Die Zeichen der Nächstenliebe

Da sind die vielen Menschen in den Kirchengemeinden, die mit ungeheurem Einsatz möglich machen, was geht, um geflüchteten Menschen zu helfen, sie hier willkommen zu heißen. Gemeinsam mit den Städten und Landkreisen werden leerstehende Pfarrhäuser oder andere Gebäude hergerichtet, um den Menschen aus der Ukraine eine erste Unterkunft zu bieten. In unseren Kitas und Schulen werden umsichtig und liebevoll schwer traumatisierte Kinder aufgenommen, um für sie ein möglichst normales Umfeld zu schaffen, in dem sie zur Ruhe kommen können.

Unsere Caritas nutzt ihre Vernetzung mit vielen anderen Hilfsdiensten und bietet auch die notwendige psychosoziale Unterstützung für die Menschen, die gerade mit ihrem Leben davongekommen sind und mit ansehen mussten, wie ihre Heimat zerstört wird.

Alle diese Zeichen der Nächstenliebe sind wie blühende Mandelzweige für mich, Fingerzeige, die mir sagen: Der Tod hat nicht das letzte Wort.

Trotz Zukunftssorgen daran glauben

An Ostern feiern wir das Leben, das den Tod besiegt - und wenn ich an all die Lebenszeichen denke, die mir in den letzten Tagen und Wochen begegnet sind, dann fällt es mir nicht mehr so schwer, daran zu glauben.

Trotz Krieg und Menschenverachtung, trotz Zukunftssorgen möchte ich glauben und vertraue darauf: Das Leben siegt.

 

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