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Vom Jammern zum Jubeln

Vom Jammern zum Jubeln

Sebastian Pilz
Ein Beitrag von Sebastian Pilz, Katholischer Referatsleiter Diakonische Pastoral/Seelsorge in besonderen gesellschaftlichen Herausforderungen
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„Und wie geht’s so?“ Kennen auch Sie diese Frage? Mir begegnet die immer, wenn ich einen entfernten Bekannten oder Arbeitskollegen zufällig in der Stadt treffe. Ich spreche das „Hallo“ und mein Gegenüber fragt mich: „Und wie geht’s so?“ Dann bin ich aufgefordert, irgendetwas zu erzählen und das kann ich so gar nicht leiden. Wird mir diese Frage gestellt, empfinde ich sie oftmals als Floskel. Denn mein Gegenüber interessiert sich meistens nicht wirklich für meinen Gesundheitszustand. Es geht lediglich um den Beginn eines Smalltalks. Andererseits will ich das Gespräch nicht gleich mit einem „Sorry, ich muss weiter“ beenden. Ich ringe also notgedrungen um Inhalte, denn mit den Worten: „Gut und selbst?“ will ich die Frage auch nicht einfach zurück spielen. Ich überlege also kurz und dann fange ich an zu jammern: Über die Arbeit im Büro, die letzte Schulklasse, mit der ich unterwegs war, oder einfach darüber, dass ich ja so im Stress bin. Ich habe, wenn ich es mir so recht überlege, bei meinen bisherigen Antworten immer nur gejammert und noch nie etwas Positives gesagt.
So ähnlich stelle ich mir die Begegnung von Jesus und seinen Jüngern auf dem Weg nach Emmaus vor. Diese Erzählung aus dem Lukasevangelium wird heute im katholischen Gottesdienst vorgelesen. Da gehen zwei Jünger aus Jerusalem fort, wo Jesus gekreuzigt wurde. Sie wenden sich enttäuscht ab, nicht nur im Herzen, sondern auch gleich körperlich vom Ort des Geschehens. Und dann treffen sie eben unterwegs Jesus, den sie aber nicht erkennen. Er ist also ein Unbekannter für sie und ich stelle mir vor, wie Jesus den beiden „Hallo“ sagt und ihnen die eben zitierte Frage stellt: „Und wie geht’s so?“. Die Jünger fangen auch gleich an über die ganzen Ereignisse zu erzählen: Wie schlecht alles gelaufen sei; der große Meister am Kreuz umgebracht; die ganze Idee im Eimer. Kurz: Ich stelle mir vor: Sie jammern. Aber tatsächlich verläuft das Gespräch schnell anders als in meinem Alltag. Denn zum Schluss gehen die Jünger fröhlich zurück nach Jerusalem. Das Faszinierende für mich ist also, wie Jesus es schafft, durch diese Begegnung die Jünger vom Jammern zum Jubeln zu bekommen. Jesus hält also wohl nicht nur Smalltalk. Er tut mehr. Und deshalb lohnt es sich für mich, da näher hinzuschauen.

Am Beginn der Erzählung von den Emmausjünger im Lukasevangelium steht der Satz: „Während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus hinzu und ging mit ihnen.“ Das folgende Gespräch zwischen Jesus und den Jüngern beginnt also mit einer wichtigen Grundhaltung: Jesus hört den Jüngern zu. Jesus sieht diese Begegnung nicht als Störung, sondern als Chance, der er Raum und Zeit gibt. Er nimmt sich Zeit und geht ein Stück mit ihnen. Sein Zuhören schließt zugleich die Bereitschaft zur Weggemeinschaft mit ein. Der erste Schritt vom Jammern zum Jubeln ist also: aus Liebe zum Nächsten sich bewusst unterbrechen zu lassen und zu zuhören.
Den zweiten Schritt entdecke ich im biblischen Text in folgendem kleinen Satzteil: „Er fragte sie“ heißt es da zweimal wörtlich. Das zeigt mir: Jesus hört nicht einfach nur aufmerksam zu, sondern er interessiert sich. Und sein Interesse ist dabei eben nicht einfach nur eine Floskel nach dem Motto „und wie geht’s so?“. Jesus fragt konkret nach. Er will von den Jüngern alle Details über die Ereignisse von Jerusalem wissen.
Damit verändert Jesus die Situation. „Da blieben die Jünger traurig stehen“, heißt es da in der Bibel direkt. Die Jünger unterbrechen also ihren Trott. Die Tatsache, dass Jesus sich wirklich für sie interessiert, lässt sie aufmerksam werden und stehen bleiben. Sie gehen nicht einfach den Weg voller Verbitterung und Traurigkeit über die den Tod des geliebten Meisters weiter. Nein. Sie halten inne und erzählen ihm alles. Sie jammern, aber darin drückt sich für mich auch ein Wunsch nach Orientierung aus. Sie sind dankbar für diesen Fremden. Denn: Vielleicht kann er ja eine neue Sicht auf die Dinge eröffnen.
Diesen Wunsch finde ich auch darin bestätigt, dass sie Jesus von ihrer Auferstehungshoffnung erzählen. Sie berichten nämlich, dass am dritten Tag Frauen aus dem Jüngerkreis den Leichnam Jesu nicht finden können. Engel hätten den Frauen erzählt, dass Jesus lebe.
Was Jesus und die beiden Jünger hier besprechen, ist also keinesfalls Smalltalk. Da würde niemand dem Gegenüber von Engeln und einer Hoffnung nach Auferstehung von den Toten erzählen. Jesus und die Jünger führen ein intensives Gespräch von Herz zu Herz. Nur in dieser Gesprächsdimension ist Raum für Neues.
Und darauf baut Jesus im dritten Schritt auf. Ich stelle mir vor, wie er ganz behutsam die Berichte der Jünger aufgreift und in die gesamten heiligen Schriften von Mose und den Propheten einordnet. In dieser intensiven Gesprächsatmosphäre ist dann auch der Boden für Neues bereitet: Als sie abends mit ihm beim Essen zusammensitzen, merken sie, dass ihr geliebter Meister mit ihnen am Tisch sitzt. In diesem Moment ist ihre Sehnsucht nach Orientierung erfüllt. Das Jammern ist verflogen. Ein neuer Impuls zum Glauben ist da. Sie erkennen: Jesus lebt. Die Ereignisse von Jerusalem haben damit ihren Schrecken verloren. Das Sterben Jesu am Kreuz erstrahlt den Jüngern nun in einem neuen Licht, einem österlichen Licht. Erfüllt von diesem Jubel brechen die beiden sofort von Emmaus auf und gehen noch in der Nacht zurück nach Jerusalem. 
Im Rückblick auf dieses Gespräch auf dem Weg nach Emmaus erkenne ich: Wer Menschen zum Jubeln führen will, muss sich unterbrechen lassen, muss zuhören und nachfragen. Erst dann kann er neue Impulse setzen.

Diesen Weg vom Jammern zum Jubeln erlebe ich persönlich am intensivsten bei den Weltjugendtagen. Sie sind ein großes katholischen Glaubensfest, zu dem sich zumeist alle vier Jahre Jugendliche aus vielen Ländern um den Papst versammeln. Als junger Teilnehmer war ich das erste Mal 1997 in Paris dabei. Eigentlich will ich damals nur den Eifelturm sehen. Doch schon auf dem Weg zum Pariser Wahrzeichen verändert sich diese Vorstellung. In voll gequetschten U-Bahnen hätte jeder Grund zum Jammern gehabt. Doch keiner tut es. Stattdessen lassen sich die jungen Menschen unterbrechen und hören sich gegenseitig zu. Das ist aufgrund der verschiedenen Sprachen schwierig. Aber voller Geduld und mit viel Freude nehmen sie sich Zeit füreinander. Sie stellen sich Fragen rund um ihr Leben und ihren Glauben. Auch für mich ergeben sich damals in dieser räumlichen Enge der U-Bahn so ehrliche und tiefgründige Gespräche, dass sie mein Herz und meinen Horizont erweitern.
Nach dieser Wallfahrt mit ihren intensiven Gesprächen kehre ich verändert zurück nach Hause. Froh und gestärkt im Glauben werde ich Jahre später nicht Fluglotse, was ich ursprünglich vorgehabt hatte, sondern beginne mit dem Theologiestudium. 2002 lerne ich bei einem der nächsten Weltjugendtage im kanadischen Toronto meine Frau kennen. Heute weiß ich, wie viele neue Aufbrüche in meinem Leben durch diese, meine Emmaus-Gespräche in den U-Bahnen von Paris oder auf den weiteren Wallfahrten zu Weltjugendtagen entstanden sind. Ist das ein Grund zum Jammern? Im Gegenteil: das ist für mich Grund zum Jubeln.
Zurück zu meinen zufälligen Begegnungen in der Stadt:  Wie reagiere ich jetzt auf die Floskel „und wie geht’s so“? Zukünftig will ich mehr von Jesu lernen, wie er ihn bei den Jüngern auf ihrem Weg nach Emmaus praktizierte. Das heißt: Ich nehme mir wenigstens kurz Zeit für eine echte Begegnung. Ich lasse mich unterbrechen, höre zu und frage ehrlich nach, bei dem, was mich vom anderen interessiert. Und was mache ich, wenn ich mal wieder etwas erzählen soll? Dann halte ich mich Papst Johannes Paul II. Der Begründer der Weltjugendtage starb genau heute vor 13 Jahren, am 2. April 2005. Eine seine letzten überlieferten Worte sind „Ich bin froh, seid ihr es auch!“ Im Angesicht des Todes hätte er über seine Krankheit jammern können. Tut er aber nicht. Er trägt sie mit einem Frohsinn, der für mich von Ostern und der Auferstehung Jesu herrührt. Wenn ich also etwas meinem Gegenüber erzählen soll, werde ich zukünftig über etwas Schönes berichten: eine Freude, ein positives Erlebnis, einen Grund zum Jubeln eben, oder etwas Kleines, das den Keim dazu in sich trägt. Damit werde ich auf jeden Fall bei mir etwas verändern, bestimmt aber auch beim meinem Gegenüber. Dann wird spürbar, dass ich mehr Grund zum Jubeln als zum Jammern habe. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes und gesegnetes Osterfest.

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