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Olympische Spiele – Hoffnungszeichen für die Welt?

Olympische Spiele – Hoffnungszeichen für die Welt?

Winfried Engel
Ein Beitrag von Winfried Engel, Katholischer Ltd. Schulamtsdirektor i. K. i. R., Fulda
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Heute gehen sie zu Ende, die Olympischen Winterspiele 2018 in der südkoreanischen Stadt Pyeongchang. Spiele des Friedens sollten sie sein, vor allem gekennzeichnet durch eine Annäherung zwischen den verfeindeten Staaten Nord- und Südkorea. Zeichen dafür gibt es ja, wie den gemeinsamen Auftritt von Sportlern aus beiden Ländern. Ob das jedoch weitere positive Wirkungen haben wird, muss sich erst zeigen. - Zu den eindrucksvollsten und nachhaltigsten Erlebnissen in meinem Leben gehört ein Ereignis aus meiner Jugend. Im Alter von 16 Jahren durfte ich am Weltpfadfindertreffen teilnehmen, dem so genannten World-Jamboree, das damals in Griechenland stattfand. 14.000 Pfadfinder aus 88 Ländern der Erde hatten sich in einem riesigen Zeltlager auf dem historischen Schlachtfeld von Marathon versammelt. Ich gehörte zu den etwa 800 Pfadfindern aus Deutschland, die als das deutsche Kontingent an diesem Treffen teilnehmen durften. Groß war die Spannung, was uns erwarten würde. Und dann war es endlich soweit. Nach wenigen Tagen Vorlauf, in denen wir Athen mit seinen antiken Stätten kennenlernten, ging es dann nach Marathon in unser Zeltlager. Jugendliche aller Hautfarben waren dort, die Pfadfinderkleidung der verschiedenen Nationen bot ein buntes Bild. Von Anfang an gingen wir aufeinander zu, luden uns gegenseitig in das eigene Lager ein. Ohne dass wir die Sprache der anderen beherrschten, verstanden wir uns. Gesten und das Sprechen mit Händen und Füßen ersetzten die Wörter. Wir wussten uns von einer Gemeinsamkeit getragen, nämlich Pfadfinder zu sein. Und das genügte. Damals bekam ich eine Ahnung von der großen Gemeinschaft, die Menschen eigentlich bilden. Die Unterschiede in der Hautfarbe oder der nationalen Herkunft spielten keine Rolle, Konflikte zwischen Völkern und Nationen waren für Tage vergessen oder zumindest überdeckt. Gedanken an Fremdenfeindlichkeit oder Rassenhass kannten wir überhaupt nicht. Es war wie ein Stück Paradies, was ich dort erleben durfte.

Olympische Spiele gehören zu den Ereignissen, bei denen Menschen aus der ganzen Welt zu gemeinsamem Tun zusammenkommen. Das erinnert mich  immer an mein Erlebnis als Pfadfinder. Beim Betrachten der Fernsehbilder spüre ich etwas von dem großen Gemeinschaftsgefühl, das ich selbst einmal erleben durfte. Auch in den vergangenen Tagen, an denen die Olympischen Winterspiele stattfanden, ging es mir so. Menschen unterschiedlicher Nationen und Rassen kamen zusammen, weil sie etwas Gemeinsames verbindet: der Sport. Dieses „etwas“ ist so stark, dass große finanzielle Belastungen und auch körperliche Strapazen in Kauf genommen werden, um dabei sein zu können. Gleichwohl lassen gerade diese Olympischen Winterspiele aber auch spüren, dass Grenzen und Rivalitäten nicht verschwunden sind, dass das große Gemeinschaftsgefühl vielleicht nur ein Gefühl ist, keine Realität. Und so frage ich mich: Was bleibt von diesem Gefühl, wenn die Spiele vorbei sind? Ist mein Pfadfindererlebnis letztlich auch nur eine schöne Erinnerung?

Die Frage, warum die Menschheit nicht eine einzige große Gemeinschaft bildet, sondern in Rivalitäten und Spannungen lebt oder untereinander gar zerstritten ist, ist uralt. Der Anfang der Bibel, der Beginn des Alten oder besser Ersten Testaments, beschäftigt sich mit solchen Ur-Fragen der Menschheit. Das Bild vom Paradies, in dem der Mensch in Frieden, Fülle und absoluter Sorglosigkeit leben konnte, ist allgemein bekannt. Weit bekannt ist auch die Erzählung vom Turmbau zu Babel, die zu den ersten Erzählungen der Bibel gehört. Sie berichtet von den Nachkommen Noahs, die die große Flut überstanden hatten, und den danach entstandenen Völkern. Für unsere heutigen Vorstellungen lebten sie in einem regional kleinen Gebiet, doch nach damaligen Vorstellungen war es die ihnen bekannte Welt. „Alle Menschen hatten die gleiche Sprache und gebrauchten die gleichen Worte“, so berichtet die Bibel (Gen 11,1 – 9). Und dann, so berichtet sie weiter, sagten die Menschen zueinander: „Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie, und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, so dass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde, und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel (das bedeutet Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.“ – So erzählt es die Bibel. Nach ihrem Verständnis hat Gott den Menschen Einhalt geboten, als sie begannen, ihre Grenzen zu überschreiten. Und dann hat er die große Gemeinschaft zerstört, ihnen die Möglichkeit zur Verständigung genommen und sie in alle Welt zerstreut. Das ist schwer zu verstehen, könnte sich damit doch das Bild eines Gottes verbinden, der den Menschen klein halten möchte und nur auf den Erhalt seiner eigenen Macht aus ist. Doch das ist es nicht, was die Bibel sagen will. Sie mahnt die Gottesbeziehung des Menschen an: dass er sich seiner Geschöpflichkeit bewusst bleibe und die Grenzen, in denen er allein sein Menschsein erfüllen kann, nicht überschreitet. Gott will den Menschen, der sich die Erde untertan macht. Er erinnert ihn jedoch daran, dass er Geschöpf ist und immer Geschöpf bleiben wird, dass er seine Türme – um in diesem Bild zu bleiben – niemals bis in den Himmel bauen kann! Bedeutet das aber nicht auch, dass der Mensch doch eine Chance hat, die große Gemeinsamkeit zu erleben, dann nämlich, wenn er sich auf das besinnt, was er eigentlich ist: ein Geschöpf Gottes?

Die Bibel kennt nicht nur das Bild von der großen Sprachverwirrung, sie kennt auch das Gegenteil! (Apg 2, 1-13) Am Pfingstfest, 50 Tage nach Ostern, versammelten sich in Jerusalem die Juden aus den unterschiedlichsten Ländern. Auch die Jünger Jesu hatten sich wie gewohnt versammelt. Da kam der Geist Gottes auf sie herab. Die Bibel berichtet: „Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ Und sie gingen hinaus auf die Straße, unter die Fremden. Die Menschen, die sie hörten, wunderten sich, „denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: …“ Und die Bibel sagt auch, was sie da hörten: die Verkündigung von Gottes großen Taten!

Auch wenn die beiden Geschichten vom Turmbau zu Babel und dem Pfingstereignis in keinem direkten inhaltlichen Zusammenhang stehen, so sehe ich darin doch eine Botschaft: Gott will die Menschen daran erinnern, dass sie seine Geschöpfe sind, was auch bedeutet, dass er für sie da ist und sich um sie und ihr Wohlergehen sorgt. Die Bibel berichtet dies an vielen Stellen. Und er will auch, dass sie ein Volk sind, dass sie Hass und Feindschaft aus ihrer Mitte verbannen und im Frieden leben. Er will, dass sie im anderen den Bruder, die Schwester sehen und dass die Würde des Menschen überall geachtet wird. Auch wenn diese unsere Welt weit entfernt ist von dieser großen Gemeinschaft, so gibt es doch, davon bin ich fest überzeugt, die Sehnsucht nach Frieden und Einheit. Neben den alltäglichen Meldungen von Krieg und Gewalt gibt es nämlich auch ungezählte Beispiele weltweiter Solidarität und gegenseitiger Hilfe – im Großen wie im Kleinen. Das lässt hoffen. Und zu diesen Hoffnungszeichen zählen für mich auch weltumspannende Ereignisse wie eine Olympiade. Auch hier scheint es, als ob die Menschen auf der ganzen Welt, wenn auch nur für kurze Zeit, eine Sprache verstehen, die des Sports; dass sie sich wenigstens für kurze Zeit als große Gemeinschaft fühlen, die friedlich miteinander wetteifert und die sich gegenseitig achtet und schätzt. Ich hoffe und wünsche, dass solche Erfahrung die weltweite Sehnsucht und die Hoffnung auf Frieden und Gemeinsamkeit nährt. Vielleicht trägt das Erlebnis der Gemeinschaft sogar dazu bei, im Fremden zuerst den Bruder oder die Schwester zu sehen. Das wäre ein mindestens so großer Erfolg wie der Gewinn von Medaillen!

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