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Erster Schnee

Erster Schnee

Gudrun Olschewski
Ein Beitrag von Gudrun Olschewski, Evangelische Pfarrerin, Pfungstadt

Einen dicken Wollschal um den Hals geschlungen und ihre Bommelmütze tief ins Gesicht gezogen, so steht Suzanna auf dem Weihnachtsmarkt und wartet. Immer wieder schaut sie sehnsuchtsvoll nach oben. Zwei Stunden schon. Suzanna bibbert, trotz Wintermantel. Suzanna ist Kälte nicht gewohnt. Sie kommt aus Somalia.

Seit gut einem halbem Jahr wohnt sie bei uns im Ort in einem Wohnheim für minderjährige Flüchtlinge. „Ich habe Essen und Trinken,“ sagt sie, „Medizin und Ruhe. Hier fühle ich mich sicher.“ Suzanna spricht schon gut deutsch. Denn sie ist ehrgeizig. Jetzt kann sie es kaum erwarten, den ersten Schnee ihres Lebens zu sehen und zu erleben.

Auf dem Weihnachtsmarkt hält sie den ganzen Abend durch, auch wenn es kalt ist. Es könnte schneien, hat sie gehört. Und ihre Augen leuchten. Schnee kennt sie nicht. Das Thermometer zeigt zwei Grad. Es beginnt zu nieseln. Die Menschen ziehen ihre Mützen tiefer ins Gesicht. „Wie schade, dass es nicht ein kleines bisschen kälter ist“, sage ich, „Dann wäre das jetzt Schnee“.

Suzanna bekommt große Augen. „Wenn es kalt ist, dann regnet es nicht? Dann schneit es?“, fragt sie, „funktioniert das so?“ „Genau so“, antworte ich ihr. Plötzlich ist Suzanna ganz aufgeregt: „Schau doch, ist das nicht Schnee?“. Eigentlich sind es eher schwere Regentropfen. Sie bittet mich, sie zu fotografieren und schaut sich das Ergebnis gleich an: „Das sieht doch aus wie Schnee?“, ruft sie freudestrahlend, „Das ist weiß, was da vom Himmel kommt“.

Suzannas Lippen laufen schon leicht bläulich an. Aber sie will draußen bleiben. Sonst könnte sie ihn verpassen: Den einen Moment, in dem es so richtig anfängt zu schneien. Suzannas Staunen und Freude stecken mich an und im Hintergrund höre ich aus dem Lautsprecher „Leise rieselt der Schnee … freue dich ’s Christkind kommt bald“. Ich lasse mich von ihr anstecken zur Vorfreude.

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