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Der Balkon - Eine Adventsgeschichte
Bildquelle Pixabay

Der Balkon - Eine Adventsgeschichte

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel

Seit kurzem hat er einen Balkon. Rolf wohnt schon Jahrzehnte in der Wohnung. Jetzt haben alle Mieter Balkone bekommen, vom Besitzer angebaut. Schön sind die. Man kann im Sommer Blumen darauf stellen oder Heidekraut im Winter. Man könnte, muss ich sagen, denn Rolf kann nicht. Er darf  nicht, wie die Zeitung schreibt (bild.de am 26. Nov. 2015). Rolf kann nämlich die Miete nicht mehr bezahlen. Dreißig Euro mehr im Monat für den Balkon, das geht nicht. Rolf bekommt Hartz IV, und das Sozialamt zahlt nicht. Rolf hat also einen Balkon, den er nicht betreten darf. Damit er das wirklich nicht tut, gibt es keine Balkontür. Nur ein hohes Fenster, das er nicht öffnen kann. Jetzt steht er im Wohnzimmer und schaut aus dem Fenster. Vor ihm ein Balkon, auf den er nicht darf. Wenn er es trotzdem tut und ein Nachbar verrät ihn, würde ihm gekündigt.

Das ist auch Deutschland, das Land der klaren Gesetze. Alles ist rechtens, was Rolf geschieht. Und dämlich ist es auch, nicht wahr? Ein Balkon ohne Balkontür - darauf hat man sich geeinigt, die Wohnungsbaugesellschaft mit dem Sozialamt. Da hatten sie viel Phantasie. Beim Geld hört ihre Phantasie dann sofort auf. Mein Verständnis hört gleich mit auf. Rolf schaut in die Ferne. Aber nur aus dem Fenster. Ich würde nicht lange diskutieren und Rolf ein

Jahr Balkon schenken. Und andere Mieter fragen, ob wir zusammenlegen fürs zweite Jahr.

Gesetze sind gut. Oft helfen sie im Leben. Manchmal stehen sie dem Leben aber auch im Weg. Dann braucht man mehr Phantasie, als

ein Gesetz haben kann. Die heißt Gnade. Adventszeit ist Gnadenzeit, liebes Sozialamt und liebe Wohnungsbaugesellschaft. Springt über eure Schatten. Macht dem Unsinn ein Ende und lasst Rolf auf den Balkon. Schenkt den Bedürftigen Leben. Sie werden euch dankbar sein. Und Gott erst recht.

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