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Erzählen und Zuhören

Erzählen und Zuhören

Ein Beitrag von Alrun Kopelke-Sylla, Pfarrerin, Echzell

Wenn ich Bilder von Flüchtlingen heute sehe, von erschöpften Frauen und Kindern in zerrissener Kleidung, mit durchgelaufenen Schuhen und gezeichneten Gesichtern, dann tauchen für mich die Erzählungen meiner Großmutter wieder auf. Ihre Geschichte von der Flucht aus Ostpreußen habe ich von klein auf immer wieder erzählt bekommen. Wie sie den letzten Zug gen Westen bekamen. Wieviel Angst sie vor den Russen hatte. Wie ihnen die Tasche mit dem letzten Proviant geklaut wurde. Und wie freundliche Menschen sie aufnahmen.

Als Kind fand ich die Geschichten spannend, als Jugendliche nervten sie mich, als Erwachsene begann ich zu begreifen, dass das wiederholte Erzählen einen tiefen Sinn hatte. Meine Großmutter versuchte das Erfahrene einzuordnen, ihm einen Platz im Leben zu geben und irgendwie zu verarbeiten. Was sie erlebt hat an Todesangst, Schmerzen und Verlust, damit hatte sie ihr Leben lang zu tun.

Heute bin ich froh, dass in Deutschland die Hilfsbereitschaft groß ist, dass Flüchtlinge willkommen geheißen werden, dass Menschen Kleidung spenden, dass Freiwillige helfen. Aber ich hoffe, die Hilfe lässt nicht nach. Dass alle ein Dach über dem Kopf, Kleidung und zu essen haben, ist wichtig.

Aber danach kommt die schwierigere Aufgabe: Neben Deutschkursen und Hilfen bei Behördengängen brauchen die Flüchtlinge auch Zuhörer. Manche brauchen sicher therapeutische Hilfe. Andere brauchen einfach Menschen die ihnen zuhören. Die sich Zeit nehmen, um eine traurige Geschichte zu hören. Ich habe das mit meiner Großmutter erlebt: Wer zuhört, kann das Erlittene ein Stück weit mittragen.

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