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Der Schweiger

Der Schweiger

Ein Beitrag von Alrun Kopelke-Sylla, Pfarrerin, Echzell

Es war Winter 1938. Der Börsenmakler Nicholas Winton wollte gerade in den Urlaub fahren, da erreichte ihn der Hilferuf eines Freundes aus Prag: Die Juden dort wurden von den Nazis in Lager gesteckt. Nicholas sagte den Urlaub ab und fuhr nach Prag. Er war tief berührt von der Not. Viele europäische Länder hatten ihre Grenzen für Flüchtlinge dicht gemacht.

England nahm wenigstens Kinder auf – sofern sich Pflegefamilien fanden, und pro Kind 50 Pfund hinterlegt wurden, damals sehr viel Geld. Diese Nische nutzte Nicholas Winton. Monatelang inserierte er in britischen Zeitungen, suchte Pflege-Familien und sammelte Spenden. Er organisierte acht Züge mit Kindern von Prag nach London. Die meisten Kinder haben ihre Eltern nie wieder gesehen. Aber sie überlebten.

Nicholas Winton sprach nicht darüber. Erst mehr als vierzig Jahre später entdeckte seine Frau einen Koffer mit Adressen in England und Tschechien, mit Briefen der Eltern. Sie übergab ihn heimlich einer Historikerin, dann einer Journalistin. Die organisierte eine Fernsehsendung, zu der Greta Winton ihren Mann unter einem Vorwand lotste.

Erst stellte die Moderatorin das Schicksal einer Frau vor, die als junges Mädchen mit einem Kindertransport nach England gekommen war, und die „wie zufällig“ neben Nicholas Winton saß. Sie bedankte sich bei ihrem Lebensretter. „Gibt es noch jemand im Publikum, der Nicholas Winton sein Überleben verdankt?“ fragte die Moderatorin.

Und dann standen alle dort im Saal auf, alle rund um Nicholas selbst, der Tränen in den Augen hatte. Insgesamt 669 jüdische Kinder hat er gerettet. Viele von ihnen erfuhren erst jetzt, wer ihr Retter war. Sie nennen sich „Winton-Kinder“. Sie sind froh, dass sie sich endlich bedanken konnten. Vor wenigen Wochen ist Winton gestorben.

Dass Nicholas Winton nicht über seine Taten gesprochen hat, macht ihn sympathisch. So wie es in der Bibel heißt: Gute Taten soll man eher im Verborgenen tun. Und doch ist es gut, dass seine Geschichte weitererzählt wird. Weil sie eine Geschichte der Hoffnung ist.

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