Verblüffende Antwort
Er kann einem den letzten Nerv rauben. Ich nenne ihn hier mal Jonas. Er war damals 13 Jahre alt, als er in den Konfirmandenunterricht kam. An manchen Tagen setzte er alles daran, seine Mitkonfirmanden und mich zur Weißglut zu bringen. In der Regel tauchte er erst dann auf, wenn der Unterricht schon begonnen hatte. Dann, wenn er sicher sein kann: das Gespräch kommt langsam in Gang oder der erste Arbeitsauftrag ist bereits erteilt.
Seine Mappe packte er so aus, dass sie ihm dabei erst einmal zu Boden fällt. Ein Mäppchen hatte er selten dabei und forderte lauthals einen Stift vom Nebenmann. Auf Fragen und Antworten von den anderen einzugehen, fiel Jonas schwer. Genauso wie Geduld aufzubringen für einen, der seine Sätze erst überlegt, bevor er redet. Und wenn einer Schwierigkeiten beim Vorlesen hat, kannte er keine Nachsicht. Nur er allein ist wichtig – jetzt und immer und überall.
In einer Stunde war das mal verblüffend anders. Das Thema war: Wie stelle ich mir Gott vor? Es gab ein Arbeitsblatt dazu, da stand nur ein Wort: „Barmherzig“. Jonas meldet sich. Er, der der sonst immer reinplatzt, wartet, bis er dran ist: „Jemand, der barmherzig ist, der ist doch voll gütig oder?“ fragt er schließlich.
„Was verstehst du unter gütig?“, frage ich zurück. Jonas fackelt nicht lange. „Gütig, das bedeutet, dass jemand einen nicht fertig macht,“ antwortet er, „dass einer nicht lästert, und dass einer nicht immer schon vorher weiß, was man ist. Gütig ist einer, der mich stark macht und stolz und der mich entdeckt.“ Und fügt hinzu: „Barmherzig, das Wort hat Gott für sich selbst reserviert, weil es außer ihm sowieso keiner schafft, so zu sein, wenigstens nicht dauernd.“
Dass das stimmt, merke ich, als ich mich noch immer über seine Antwort freue. Da sieht Jonas schon wieder ein bisschen aus wie immer. Bereit, mich und alle anderen zu nerven. Aber es gab diesen wunderbaren Moment, wo er uns erklärte, wie Gott ist, nämlich barmherzig. Auch zu ihm.
