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Auf sich allein gestellt

Auf sich allein gestellt

Gudrun Olschewski
Ein Beitrag von Gudrun Olschewski, Evangelische Pfarrerin, Pfungstadt

Wenn der heute achtzehnjährige Abu Bakar die Geschichte seiner Flucht erzählt, bricht ihm immer noch der Schweiß aus. Ich hörte sie in einem Wohnheim für minderjährige Flüchtlinge, wo er heute lebt. Er sagt, in seinem Heimatland sei er politisch aktiv gewesen. Weil irgendwann die Polizei dort auf ihn aufmerksam wurde, entschloss er sich, zu fliehen. Damals war er sechzehn. Wochenlang schlägt er sich alleine durch – über die Türkei, nach Griechenland und Italien bis nach Deutschland.

Hier wird er nach kurzer Zeit von der Polizei aufgegriffen. Sie bringt ihn in dieses Wohnheim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. „Das war mein Glück“, sagt er. Seit gut einem Jahr wohnt er dort mit rund zwanzig Kindern und Jugendlichen. Zunächst ist es ihm schwer gefallen, überhaupt jemandem zu vertrauen.

Nach Schätzungen kommen jedes Jahr rund 4000 jugendliche Flüchtlinge ohne Eltern nach Deutschland. Rund die Hälfte von ihnen stellen, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, einen Asylantrag. Von denen, die bleiben, treffen es nicht alle so gut wie Abu Bakar. Viele werden wie Erwachsene behandelt und in Sammelunterkünfte gebracht. Sie sind dann oft lange auf sich allein gestellt, können nicht zur Schule gehen, keine Ausbildung machen und die Erlebnisse ihrer Flucht nicht verarbeiten.

Denn sie kommen aus Krisengebieten wie Afghanistan, Somalia oder Syrien, wo sie die Hölle erlebten, so wie Abu Bakar. Manchmal übermannt ihn die Trauer. Nach wie vor hat er keinen Kontakt zu seinen Eltern und seinem Bruder. „Ich weiß nicht, ob sie noch leben oder tot sind“, sagt er und wischt sich dabei mit dem Ärmel seines Pullovers die Tränen aus den Augen.

Ein paar Momente später kann er wieder vorsichtig lächeln. Er erzählt, dass er inzwischen die Realschule besucht. Wenn er vom Fußballverein spricht, wird sein Lächeln noch breiter. Denn da und in seinem Wohnheim hat er das, was Menschen brauchen, wenn sie Schweres erleben: Schutz und Menschen an ihrer Seite.

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