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Trotz allem - Hoffnung

Trotz allem - Hoffnung

Gudrun Olschewski
Ein Beitrag von Gudrun Olschewski, Evangelische Pfarrerin, Pfungstadt

„Welches Lied wünschen Sie sich zu Ihrem Geburtstag“, frage ich die 80jährige. Einmal in der Woche kommt sie zum Frauenkreis unserer Gemeinde. „Harre meine Seele“, antwortet sie ohne langes Zögern. „Wenn alles bricht, Gott verlässt uns nicht.“ Voller Inbrunst singt die alte Dame mit.

Nach dem Geburtstagsständchen gibt es Kaffee und Kuchen. Ich setze mich zu ihr und sie erzählt mir ihre Geschichte: Als der Krieg beginnt, ist sie gerade mal vier Jahre alt. In der Wohnung der Großeltern teilt sie sich mit ihrer Mutter ein kleines Zimmer. An ihren Vater erinnert sie sich kaum. Gleich zu Beginn des Krieges wird er an die Front geschickt.

„Was uns blieb, war nur das Foto auf dem Nachttisch,“ sagt die Frau traurig, „und seine Briefe.“ „Wenn wieder einer eintraf, war das für mich wie ein Geburtstag“, erzählt sie weiter. „Meine Mutter nahm mich dann auf den Schoß und las mir den Brief vor, immer und immer wieder“.

Anfangs kommen die Briefe regelmäßig, bis die Abstände zwischen ihnen immer größer werden und die Briefe schließlich ganz aus bleiben. Wo der Vater gefallen ist, erfahren sie nie, er gilt als vermisst. „Trotzdem verlief unser Leben eigentlich ganz normal“, sagt sie im Rückblick: „Wir hatten eine warme Stube, ausreichend zu essen und ich fühlte mich bei meiner Mutter geborgen.“

Bis zu dem Tag, an dem es mitten in der Nacht am Fenster klopft. Ein Mann teilt der Familie mit, dass sie am nächsten Morgen evakuiert werden. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. In aller Eile werden zwei Koffer gepackt mit dem Nötigsten an Kleidern und Essensvorräten. Der Horizont im Osten ist da schon feuerrot und das dumpfe Wummern der Geschütze deutlich zu hören.

„Ich war zwar noch ein Kind, verstand aber schon, was das zu bedeuten hatte,“ sagt die Frau zum Schluss. „Von meinem Vater haben wir nie wieder was gehört. Aber glauben Sie mir, ich habe die Hoffnung trotzdem nie aufgegeben. Manchmal hatte ich das Gefühl, von Gott verlassen zu sein, aber er hat mir jeden Tag wieder Kraft gegeben. Und das tut er bis heute.“

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