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Frieden - Zuspruch und Anspruch, Auftrag und Hoffnung

Frieden - Zuspruch und Anspruch, Auftrag und Hoffnung

Dr. Dr. h.c. Volker Jung
Ein Beitrag von Dr. Dr. h.c. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt

„Vor allem Frieden.“ Frieden wird fast immer zuerst genannt, wenn es um die Frage geht, was Menschen sich am meisten wünschen. Auch bei Kindern ist das so. Zum Beispiel in der dritten Klasse, kurz vor Weihnachten. Sie sind sich einig: Vor allem Frieden. Vor allem anderen, was auch wichtig ist: Frieden.

Schon Kinder verstehen, wie verletzlich und wie wichtig der Frieden ist. Manche, weil sie zuhause erleben, wie das ist, wenn er fehlt: Etwa, weil Vater und Mutter einfach nicht mehr miteinander auskommen. Manche leiden – gerade an Weihnachten – unter der Eiszeit in ihrer Familie, weil sich die Erwachsenen – Onkel, Tanten, Brüder, Schwestern – über irgendetwas zerstritten haben. Manche Kinder bekommen in den Nachrichten mit, wo überall Menschen unter Krieg und Terror leiden. Sie merken, wie sehr die Menschheit verstrickt ist in Konflikte und Gewalt. Umso mehr sehnen sie sich nach Frieden. Wie schön klingen in den Ohren dieser Kinder – und vieler anderer – die Engelsworte vom Frieden:

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lukas 2,14).

Der Engel verknüpft seine Friedensbotschaft mit einem Jubelruf über Gott. Für ihn hängt offenbar beides zusammen: Der Friede auf Erden und die Ehre Gottes im Himmel. Was hat beides miteinander zu tun? Und: Wann wird geschehen, was der Engel verspricht?

Musik

Viele kennen die Engelsworte vom Frieden, denn sie stehen in der biblischen Weihnachtsgeschichte. Wenn ich höre oder sogar selbst erlebe, wo tatsächlich Frieden eingekehrt ist, dann höre ich sie mit. Wie in einer Gemeinde in Mittelhessen. Dort sind Flüchtlinge untergebracht. Viele einheimische Menschen haben sich gefunden, um ihnen den Anfang in der neuen Umgebung zu erleichtern. Aber sie sind auch neugierig: „Wo kommt ihr her? Wie habt ihr gelebt in Eurer Heimat? Zeigt uns mal Eure Kleidung! Es riecht so anders und so gut, wenn ihr kocht!" Und die Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea haben eine originelle Antwort auf diese Fragen gegeben. Sie haben die Menschen des Dorfes zu einem Fest eingeladen, mit leckerem Essen, ihrer Musik und Tänzen aus der Heimat. So viele Leute wollten das Fest miterleben, dass gar nicht alle in die Halle des Dorfes passten. Und die, die drin sein und mitfeiern konnten, waren bewegt.

Sie trafen Menschen, die alles hinter sich lassen mussten, was ihnen bis dahin wichtig gewesen war. Und die dankbar waren, aufgenommen worden zu sein. Sie waren glücklich, dass sie nicht mit leeren Händen dastanden, sondern dass sie mit einem Fest ihre Dankbarkeit ausdrücken konnten. Es tat ihnen gut, dass ihre Gastgeber etwas über sie wissen wollten: Was es heißt, in der Not und in die Fremde gehen zu müssen, dort aufgenommen zu werden und sich dort geborgen zu wissen. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens!

Trotzdem: es ist und bleibt eine komplizierte Sache mit dem Frieden und mit unseren Bemühungen um Frieden. Etwa, als in diesem Sommer der lange Streit mit dem Iran zu Ende ging. Als im Atomstreit endlich eine Lösung gefunden wurde. Sie soll verhindern, dass der Iran Atombomben baut und nimmt zugleich den Menschen im Iran die Last der Sanktionen, die sie immer weiter verarmt haben. Ich habe mich darüber gefreut. Aber ich bin nicht sicher, dass auch hier die Engelsworte vom Frieden wirklich wahr geworden sind. Ist nun auch für die Menschen in Israel ein möglichst friedliches Leben gesichert? Das weiß im Moment noch niemand.

Die Engelsworte des Friedens treffen eben auf eine Welt, die ihren eigenen Regeln folgt. Der irdische Frieden ist meist das Ergebnis von langen Verhandlungen. Allerdings: Auch in denen muss oft genug mit Menschen- und mit Engelszungen geredet werden, wenn sie Erfolg haben sollen.

Musik

Irdischer Friede und himmlischer Friede sind nicht dasselbe, aber sie haben viel miteinander zu tun. Das macht die Geschichte deutlich, aus der die Engelsworte vom Frieden stammen: die Weihnachtsgeschichte. Sie geht so:

"Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zurzeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.

Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen:

Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen."

"Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen"

"Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens."

"Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war."

Musik

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Wenn ich die Weihnachtsgeschichte höre, spüre ich in mir, wie überrascht die Hirten sind – sie sind ängstlich und neugierig. Ich spüre auch ihre Sehnsucht nach Frieden und nach einem Leben ohne Sorgen und Angst. Ich gehe mit den Hirten zum Stall nach Bethlehem, als wäre ich einer von ihnen. Ich lasse mich von dem neu geborenen Kind verzaubern, so wie es den Eltern Maria und Josef ergeht, den Hirten und später auch den Königen. Mit ihnen teile ich an der Krippe im Stall diesen Moment der inneren Ruhe – eine Oase des Friedens. Sehnsucht ist erfüllt.

Aber manchmal reagiere ich auf diese Geschichte auch anders. Dann ziehen im Vordergrund die Worte vorbei: die Hirten, die Engel, die heilige Familie, aber dahinter sehe ich die Welt, wie sie ist. Mit all ihren Kriegen und Konflikten. Ich sehe Menschen, die leiden, die verlassen und verletzt werden, die nicht das bekommen, was sie brauchen. Dann ruft die Weihnachtsgeschichte Fragen in mir wach: Wo ist dein Frieden, Gott? Wann wirst du deinen Worten endlich Taten folgen lassen? Wann nimmst du dich der verzweifelten Menschen an – in Syrien, im Irak, in Eritrea und, und, und?

Groß ist die Spannung zwischen dem Frieden, der in diesen Engelsworten versprochen wird, und der Welt, wie sie ist. Und dann mache ich mir klar. Es geht wohl darum, genau diese Spannung zu sehen und auszuhalten und daraus Konsequenzen zu ziehen.

Wir brauchen die Perspektive auf den Frieden der Weihnacht, damit wir uns nicht abfinden und zufrieden geben mit dem Unfrieden auf der Welt und unter den Menschen! Gott hat an Weihnachten mit dem Frieden begonnen. Und wir sind damit noch lange nicht am Ende.

Musik

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Eines an der Weihnachtsgeschichte hat mich schon immer gewundert: Die Hirten stellen keine Fragen. Sie sehen und hören den Engel. Dann sehen und hören sie das Jesuskind. Am Ende gehen sie einfach wieder weg – ohne irgendetwas zu fragen: Welcher Friede? Zwischen wem? Wann kommt er? Was sollen wir dafür tun? Was kostet das? All diese Fragen scheinen so nahe zu liegen. Aber nicht bei den Hirten. Für sie ist in diesem Moment offenbar alles klar. Sie nehmen etwas mit – eine Idee im Kopf, ein Gefühl im Herzen, eine Gewissheit in ihrer Seele – und das ist ihnen genug. Sie tragen den Schatz der Engelsworte nach Hause. Dort versuchen sie ihn zu teilen – mit ihren Frauen, mit ihren Eltern, mit ihren Kindern und den Nachbarn. Und Lukas, der Autor dieser Geschichte, geht noch weiter: Frieden für alle Menschen und die ganze Welt.

Die Weihnachtsgeschichte ist eben nicht nur eine private Idylle. Der kleine Frieden bei mir zuhause und der große Friede der Welt haben etwas miteinander zu tun, findet der Evangelist Lukas. Er hat die Geschichte vor annähernd zweitausend Jahren aufgeschrieben und hat dabei viele Anspielungen eingearbeitet, die die Menschen seiner Zeit sehr wohl verstanden haben. Die Geschichte nimmt ihren Anfang beim römischen Kaiser, der sein Imperium mit eiserner Hand regiert und der mit der Volkszählung alles durcheinander bringt. Diesem Kaiser, dem mächtigsten Mann der damaligen Welt, stellt der Evangelist Lukas einen anderen Herrscher entgegen: Jesus Christus, Gottes Sohn, ein Friedefürst.

Doch der Kaiser bleibt außen vor, wenn dieser Friedefürst in einem Stall in Bethlehem geboren wird. Willkommen sind dort zunächst einmal die kleinen Leute, vertreten durch die Hirten. Sie werden als Zeugen der Ereignisse gerufen. Hirten kamen auch in der Bildwelt der römischen Kaiser vor: als ländliche Idylle einer heilen Herrscherwelt. In der Weihnachtsgeschichte haben die Hirten aber eine andere Aufgabe: Hier tragen sie die Sorgen und Hoffnungen der kleinen Leute ein. Zu ihnen kommen die Engel, nicht zum Hofstaat rund um den Kaiser. Die Engel kommen mit Worten, die sonst nur dem Kaiser zustehen: Ehre sei – eben nicht dem Kaiser, sondern Ehre sei Gott in der Höhe, dem wahren Herrscher der Welt.

Das sind in den Ohren der damaligen Zeit anmaßende Worte, gelten sie doch eigentlich dem Kaiser und niemandem sonst. Versteckt im Gewand eines privaten Idylls entfaltet der Evangelist Lukas mutige Herrschaftskritik: Auf der einen Seite steht der römische Kaiser mit seinem höchst irdischen und materiellen Machtanspruch. Wenn er vom Frieden spricht, dann meint er den Zustand, in dem Feinde unterworfen sind. Dem gegenüber steht der Engel Gottes und spricht von einem ganz anderen, vom himmlischen Frieden. Die Mächtigen in Rom spürten sehr schnell, dass damit etwas anderes gemeint ist, etwas, das sie für gefährlich halten. Sie spürten diesen stillen Widerstand der Christen, ihre mangelnde Unterwürfigkeit, ihr Vertrauen in ihren Gott, der ihnen sagen ließ:

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Mag sein, dass die Hirten diese Worte verstanden haben, ohne viele Fragen zu stellen. Ich kann das aber nicht. Ich will es genauer verstehen: Was ist das für ein Frieden, der da versprochen wird? Und wer wird ihn machen?

Musik

Wenn heute vom Frieden gesprochen wird, dann meint das meistens, dass die Waffen schweigen. Frieden ist aber mehr. Als Kind habe ich die Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg verfolgt. Gegen diesen Krieg gab es zuerst in den USA Proteste, später auch in Deutschland. Sie forderten das Ende des Krieges, sie forderten Frieden für Vietnam. Zugleich lebte in den Protesten auch eine Sehnsucht nach einem Frieden, der viel tiefer geht. Ein Frieden, der zugleich global ist und persönlich: Ein Frieden, den man selber in sich trägt und der zugleich politisch ist. Ein Frieden, der alle Menschen zu Schwestern und Brüdern macht und der auch die Natur mit einbezieht. Es ist ein Stück himmlischer Friede, von dem die weltweite Friedensbewegung beseelt war und ist. Ein großer Traum, eine große Sehnsucht.

Ein Blick auf den Gang der Geschichte zeigt allerdings: Es ist sehr zweifelhaft, ob der Mensch überhaupt zu einem solchen Frieden fähig ist. Es scheint: Aus eigener Kraft ist er das nicht. Immer wieder entgleist ihm der Frieden. Immer wieder werden aus ungelösten Problemen Konflikte und aus Konflikten dann Kriege.

Dennoch arbeiten viele immer weiter für diesen Frieden. Sind sie deshalb naiv? Im Gegenteil: Sie werden dringend gebraucht, denn sie bezeugen den Frieden als die Form des Zusammenlebens, zu der Gott die Menschen bestimmt hat. Und sie suchen nach Wegen, wie dieser Frieden, der mehr ist als das Schweigen der Waffen, wirklich werden kann. Sie wissen: Frieden, wirklich Frieden, kann es nur dann geben, wenn es gerecht zugeht unter Menschen.

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Seine Friedensbotschaft verknüpft der Engel mit dem Lob Gottes. Für ihn gehören die Ehre Gottes und der Friede auf Erden zusammen. Für ihn ist klar: Gott will Frieden und Gott bringt den Frieden auf die Erde. Sein Hoffnungsträger ist Jesus Christus, das Kind im Stall, der Sohn Gottes, der Friedefürst. Ihn feiert das Weihnachtsfest. In ihm bezeugt Gott sein Ja zur Welt und zu den Menschen. Zugleich protestiert er durch ihn gegen den Unfrieden in der Welt. Durch Jesus Christus legt Gott seinen Frieden in die Herzen der Hirten, so dass sie hoffen. Dann als bohrende Frage in die Köpfe der Mächtigen, was denn ihr Bild vom Frieden ist. Dann in die ganze Welt, um Menschen Mut zu machen, Frieden zu leben.

So ist Frieden ein himmlisches Geschenk und zugleich harte Arbeit. Frieden ist Hoffnung und zugleich eine politische Richtungsangabe. Er braucht brennende Herzen und kühle Köpfe, er braucht Vertrauen und Verträge, er braucht Sehnsucht und Strukturen. Er braucht Gottes Liebe und menschliche Tatkraft, beides Hand in Hand. Der Friede Gottes ist nicht einfach ein politisches Programm, das sich durch Gesetze und Regeln umsetzen lässt. Der Frieden Gottes braucht die Herzen der Menschen. Er ist eine Sehnsucht, eine Hoffnung mit politischen Folgen, weil sie Menschen motiviert, Frieden zu suchen und zu leben.

Der Friede Gottes geschieht schon jetzt, hier und da. Aber es wird der Tag kommen, an dem dieser Friede die ganze Welt umspannt. Wann das geschieht, weiß allein Gott. Aber auf dem Weg dorthin sind kleine und große Schritte des Friedens möglich. Jeder kann sie gehen. Sie lassen die Welt spüren, wie schön dies ist, was der Engel gesagt hat – in der Heiligen Nacht:

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

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