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Den Himmel um jeden Preis

Den Himmel um jeden Preis

Dr. Fabian Vogt
Ein Beitrag von Dr. Fabian Vogt, Evangelischer Pfarrer in der Öffentlichkeitsarbeit, Frankfurt

„Gott bewahre uns vor Heiligen, die griesgrämig sind.“ Ein toller Satz. Er stammt von Teresa von Avila, die später ja selbst heilig gesprochen wurde. Und vermutlich verrät er mehr über die berühmte Mystikerin, deren 500. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird, als vieles andere.

„Gott bewahre uns vor Heiligen, die griesgrämig sind.“ Wenn man sich schon mit Gott beschäftigt, dann bitte nicht verbissen, nicht schmallippig, nicht borniert oder kleingeistig. Entweder ist der christliche Glaube befreiend – oder er ist es nicht wert, dass man sich darüber überhaupt Gedanken macht.

Also eines war Teresa von Avila gewiss nicht: griesgrämig. Zumindest erzählen viele Anekdoten, dass sie das Leben durchaus zu genießen wusste. Einmal warf ihr zum Beispiel jemand vor, dass sie bei einem Festmahl soviel aß. Daraufhin erwiderte sie: „Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn, wenn Fasten, dann Fasten.“

Alles hat seine Zeit. Auch das Feiern. Und darum verwahrte sich die kluge Ordensfrau gegen jede Frömmigkeit, die die Schönheit des Lebens aus dem Blick verliert. Oder wie sie es ausdrückte: „Hätte Gott nicht gewollt, dass Menschen fröhlich lachen, dann hätte er die Welt nicht so herrlich gemacht.“

Teresa von Avila gilt nicht nur als große Beterin und Expertin für Gotteserfahrungen, sie wurde auch als erste Frau in der Geschichte zur Kirchenlehrerin ernannt. Vielleicht, weil sie bei aller Klarheit ihrer Gedanken ein ganz weites Herz für die Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten hatte.

Ja, Teresa sehnte sich danach, dass die Kirche Strukturen schafft, die Suchenden helfen, Gott zu begegnen. Und damit war sie eine ähnlich scharfe Kritikerin der kirchlichen Institutionen wie ihr Zeitgenosse Martin Luther. Wie der berühmte Reformator ärgerte sich die Nonne über die Oberflächlichkeit vieler geistlicher Rituale und suchte nach tragfähigen Formen, durch die der Glaube sich entfalten kann. In die Welt der Teresa von Avila, die so voller Leidenschaft und Hingabe war, voller Freude und Begeisterung, möchte ich mit Ihnen eintauchen. Es lohnt sich!

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Dona Teresa de Cepeda y Ahumada. Das war ihr eigentlicher Name. Aber den mochte Teresa von Avila gar nicht gerne. Weil er so nach Standesdünkel klang. Nun, sie war ja auch eine Adelige. Und vielleicht hatte ihr Stand tatsächlich etwas mit der frühen Unruhe der späteren Heiligen zu tun, die übrigens wiederholt als ausgesprochen attraktiv beschrieben wurde.

Teresa liebte als junge Frau das glamouröse Leben: teure Kleider, schöne Feste, edle Parfüms, feine Frisuren, erste Liebeleien. Das fand sie herrlich. Wäre da nur nicht ständig die Angst gewesen … diese schreckliche Angst: „Hoffentlich komme ich nicht in die Hölle!“ Teresas Familie war zwar im streng katholischen Spanien vom Judentum zum Christentum gewechselt – aber die Inquisition wies die Konvertiten nur allzu gerne daraufhin, dass gerade bei ihnen die Sache mit dem Heil doch äußerst fragwürdig sei.

Also tritt Teresa in ein Kloster ein. Aus Angst. Wie Martin Luther. Sie schreibt dazu später: „Ich dachte: Lieber auf Erden leiden und in den Himmel kommen – als auf Erden feiern und dann in der Hölle landen.“ Aber natürlich bleibt die Sehnsucht nach dem freien Leben in ihr wach. Das zerreißt die junge Frau innerlich so sehr, dass sie jahrelang schwer krank ist. Einmal liegt sie fast drei Jahre lang gelähmt darnieder. Ein anderes Mal wird sie sogar offiziell für tot erklärt.

Nun, viele spanische Klöster der damaligen Zeit sind auch weniger geistliche Zentren als gehobene Frauenpensionate. Teresa bewohnt in ihrem noblen Karmelitinnen-Stift ein feines Zweizimmer-Appartement, verfügt über eine Dienerin und ein bequemes Bett – und bekommt trotz aller Schweige- und Armutsgelübde genügend Geld und regelmäßig Ausgang. Nur ahnt sie selbst, dass diese Pseudo-Frömmigkeit ihr wohl kaum den begehrten Weg in den Himmel ebnen wird. Und den möchte sie ja haben – um jeden Preis.

Eines Tages, mit 39 Jahren, hat Teresa ein echtes Bekehrungserlebnis, bei dem sie spürt, dass sie sich endlich richtig mit Gott auseinandersetzen will. Nicht nur durch eine ungeliebte Nonnenkluft. Nicht nur in Form von spirituellen Übungen. Nicht nur mit lieblos heruntergebeteten Ritualen, sondern auf ganz persönliche Weise.

Nur: Wie soll das in dem riesigen, lauten Kloster mit fast 200 Schwestern, in dem sie lebt, überhaupt funktionieren? Gute Frage. Teresa von Avila jedenfalls spürt immer deutlicher, dass sie für einen Kontakt mit Gott andere Voraussetzungen braucht, mehr Ruhe, mehr Entspannung, mehr Konzentration, mehr Gelassenheit.

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Weil sie sich endlich auf Gott konzentrieren will, gründet Teresa von Avila 1562 ihr erstes eigenes Kloster gründet. Eine kleine Gemeinschaft mit 13 Frauen – 13 als Symbol für das Miteinander von Jesus und seinen Jüngern. Dieses „Kloster des Heiligen Josef“ in Avila hat einen großen Garten, besinnt sich wieder auf die ursprüngliche Regel das Karmeliten-Ordens und wird zum Grundstein eines Reformzweigs ihres Karmelitinnenordens, den es bis heute gibt. Teresa von Avila wird im Lauf der Zeit insgesamt 18 Klöster gründen.

In ihrem „Kloster des Heiligen Josef“ findet die eigenwillige Nonne nun ideale Bedingungen, um zu erproben, wie ein Mensch die Gegenwart Gottes wahrhaftig erleben kann. Wie er im Lärm des Lebens soviel Ruhe findet, dass er Gottes Stimme auch hört. Dass Teresa dabei regelmäßig Visionen und ekstatische Erscheinungen hat, macht sie ihren Gegnern natürlich höchst verdächtig. Und sie hat viele Gegner. Vor allem in kirchlichen Kreisen. Kein Wunder: Jeder, der etwas Neues beginnt, gibt den anderen das Gefühl, ihre Lebensmodelle seien möglicherweise überholt.

Mehrfach steht Teresa von Avila kurz davor, mit ihrem Ordenszweig aus der Kirche ausgeschlossen zu werden. Aber anders als Martin Luther möchte sie auf jeden Fall innerhalb der Institution für Veränderungen sorgen. Und das gelingt ihr. Wenn auch nur mit Mühe und Not. Immerhin ist sie bald weit über die Grenzen Spaniens hinaus bekannt. Als „Madre Fundadora“,„Mutter Gründerin“, als „Mutter Teresa“ – oder, wie sie sich selbst seit ihrer ersten Klostergründung nennt, als „Teresa de Jesus“, „Teresa von Jesus“ – also unter einem geistlichen Adelstitel, weil in Teresas Klöstern jede Frau einen neuen wohlklingenden Namen bekommt.

Schon bald nach der ersten Gründung finden auch Männer Geschmack an dieser inniglichen und zugleich lebenszugewandten Spiritualität – und so entstehen mit Hilfe des Mönchs Johannes vom Kreuz bald auch Männerklöster der sogenannten „Unbeschuhten Karmeliten“. Wobei der eigenwillige Zusatz „unbeschuht“ darauf verweist, dass die Mitglieder dieses Ordens tatsächlich ganz bescheiden und alleine von Almosen leben wollen. Was in jenen Tagen problemlos funktioniert, weil es genügend wohlhabende Menschen gibt, die sich durch eine Spende vermeintlich einen Platz im Himmel sichern wollen.

Während Teresa von Stadt zu Stadt zieht, um immer neue Gemeinschaften ins Leben zu rufen, wird sie von allen Seiten ermutigt, doch endlich aufzuschreiben, was in den von ihr gegründeten Klöstern eigentlich passiert. Und was sie meint, wenn sie sagt, ein Mensch könne lernen, „mit den Augen der Seele zu sehen“. Stimmt das? Kann man wirklich lernen, Gott wahrzunehmen? Teresa sagt: „Ja.“ Und schildet in ihren Werken, wie sie das gemacht hat. Spannend.

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Teresa von Avila ist sich sicher: Sie ist Gott persönlich begegnet. Ohne jeden Zweifel. Mit Hilfe des „Inneren Gebets.“ Aber natürlich ist es gar nicht so einfach, eine derart überirdische Erfahrung in irdische Worte zu fassen. Also macht Teresa das, was schon Jesus machte, wenn er Menschen die Schönheit Gottes nahebringen wollte: Sie erzählt Geschichten. Gleichnisse, die oft viel mehr sagen, als theologische Richtigkeiten. Drei solcher Umschreibungen habe ich Ihnen mitgebracht.

In einem ersten Bild sagt Teresa von Avila sinngemäß: „Wir Menschen sind die ganze Zeit derart abgelenkt, dass wir innerlich gar nicht bereit sind, Gott wahrzunehmen.“ Und diesen Gedanken führt sie poetisch so weiter: „Meine Seele soll ein Garten sein, in dem Gott gerne wandert.“ Klar: Wenn ein Garten überwuchert ist, voller Unkraut, vertrocknet und ungepflegt, dann macht es keinen Spaß, darin spazieren zu gehen. Und wenn die Seele abgelenkt und ungepflegt ist, dann scheint sie wohl kaum ein geeigneter Ort zu sein, um mit Gott in Kontakt zu kommen.

Deshalb ermutigt Teresa die Frauen und Männer ihres Ordens, all das zur Seite zu schieben und loszulassen, was uns vom Wesentlichen des Daseins ablenkt. Das heißt: Jede und jeder sollte danach streben, seinen Garten der Seele zu pflegen – also sich darauf vorzubereiten, Gottes Stimme zu hören.

Und weil das so klingt, als müsse sich der Mensch das Heil irgendwie verdienen, verweist Teresa sofort darauf, dass es bei all dem gerade nicht darum geht, etwas zu tun, sondern vor allem darum, etwas zu lassen. All das loszulassen, was den Blick verengt. Übrigens stammt daher das Wort „Gelassenheit“ – dass ein Mensch die Größe entwickelt, alles Unnütze loszulassen.

Auch die Kunst des Loslassens umschreibt Teresa wiederum mit einem Gleichnis: Es ist äußerst anstrengend, wenn ein Mensch versucht, seinen Garten zu bewässern. Ganz gleich, ob er ständig Wassereimer schleppt, ein Schöpfrad baut oder Bewässerungskanäle anlegt. Am Besten ist es, wenn er endlich wahrnimmt, dass Gott es ja andauernd regnen lässt. In solch einem bewässerten Garten wäre dann bald alles bereit, um Gott zu treffen.

In einem zweiten Bild vergleicht Teresa von Avila ihr „Inneres Gebet“ mit dem Weg zu einer Burg. Einer herrlichen Burg aus Kristall, die jeder Mensch in sich hat. Es ist ja eine der Grundvorstellungen der Mystik, dass Gott im Menschen wohnt. Auch für Teresa wohnt er in uns … in einer Burg. Darum vergleicht die Mystikerin ihr Gebetsleben mit einer Wanderung ins Zentrum dieser funkelnden Festung.

Letztlich beschreibt Teresa von Avila in ihrem Hauptwerkt „Die innere Burg“ einen geistlichen Reifungsprozess, in dem das Ich, das vorher um sich selbst kreist, nach und nach zu einem Menschen wird, der sich mit dem Willen Gottes vereint, und dadurch frei wird. Vor allem aber kommt es ihr darauf an, dass sich der Glaubende auf diesem Weg nicht etwa selbst verliert, sondern dass er sich selbst findet.

Stufe um Stufe führt Teresa vor Augen, wie ein Mensch sich immer mehr von äußeren Zwängen lösen kann, immer selbstverständlicher das Gespräch mit Gott sucht, sich immer gelassener für das Reden und Handeln Gottes öffnet und am Ende ganz mit Gott eins wird. Losgelöst von weltlichen Belangen, getragen von der Gegenwart des Himmels. Was bei dieser spirituellen Vereinigung passiert, nennt die betende Nonne wie viele Mystiker „eine Seelen-Hochzeit“. Die Seele des Menschen vermählt sich mit Gott und bildet fortan eine Einheit mit ihm.

Wem das jetzt ein bisschen zu abgedreht vorkommt, für den habe ich noch ein drittes Bild Teresas für ihr „Inneres Gebet“, das uns vielleicht näher ist. Sie sagt nämlich mehrfach eindrücklich: „Beten ist wie Reden mit einem Freund, bei dem wir oft und gerne zu Gast sind, weil er uns liebt und weil uns seine Gegenwart einfach gut tut.“

Beten ist wie Reden mit einem Freund. Das klingt vermutlich etwas vertrauter. Und doch steckt für Teresa von Avila in der Idee von der Freundschaft auch eine gehörige Portion Kritik an falschen Gottesbildern. Sinngemäß formuliert sie an anderer Stelle: „Solange Menschen Angst vor Gott haben, stimmt etwas nicht. Erst wenn sie seine Liebe entdecken und erleben, wie gut es tut, sich Gott anzunähern, werden sie ihm auch vertrauen.“

Denn darum geht es Teresa fast immer: um Vertrauen. Weil Gott für sie eben kein abgehobener Herrscher ist, kein drohender Richter, kein ferner Weltenlenker, sondern ein guter Freund, ein liebevoller Freund, ein Freund, dessen Gegenwart sie irgendwann nicht mehr missen möchte.

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1515, also vor 500 Jahren, wurde Teresa von Avila geboren. Und ihr beherzter Spruch „Tu deinem Leib Gutes, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen“, zeigt, dass sie eine lebenslustige und zugleich geerdete Frau war. Eine Frau, der es gelungen ist, vielen Frauen und Männern in ihren Klöstern ein Zuhause zu geben, in dem diese ernsthaft prüfen konnten, worauf es im Leben ankommt.

Manche von Teresas Erfahrungen und Berichten sind heute befremdlich. Wenn man etwa die Beschreibungen ihrer Visionen liest, die bisweilen ganz unverhohlen sinnliche Phantasien beinhalten, dann ahnt man, wie getrieben diese Nonne lange Jahre war. Zugleich aber hat sie in ihrem Glauben etwas gefunden, das nach wie vor Menschen inspiriert, diesen Weg zu Gott auszuprobieren.

Ja, gerade in den vergangenen Jahren erleben mystische Angebote einen großen Zulauf. Die Sehnsucht, nicht gelebt zu werden, sondern zu leben, sich also den vielen Zwängen der Neuzeit zu entziehen, passt gut zu der Idee des Loslassens, die Teresa schon im 16. Jahrhundert so stark gemacht hat: Wem es gelingt, all das loszulassen, was von Gott ablenkt, dem wird Gott begegnen. Unmittelbar.

Und wenn ein Mensch tatsächlich so weit kommt, dass er sein Glück nicht mehr von irdischen Dingen, sondern vom Himmel abhängig macht, dann erlebt er einen tiefen inneren Frieden, ist völlig entspannt und kann das Leben in vollen Zügen genießen. Dessen war sich Teresa gewiss. Oder wie sie einmal in Form eines Segenswunsches formulierte:

„Möge heut überall Friede sein!
Mögest du Gott ganz vertrauen,
dass du jetzt da bist, wo du hingehörst –
mögest du stets darauf bauen:
Du bist ein Kind Gottes, weil Gott in dir singt.
Du bist voller Schönheit, weil Gott in dir klingt.
Ich bete, dass diese Gewissheit dich bei jedem Atemzug
ganz frisch durchdringt.“

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