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Elisabeth Moltmann-Wendel: Eigene Wege wagen
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Elisabeth Moltmann-Wendel: Eigene Wege wagen

Ein Beitrag von Gisela Brackert, Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

Autorin
Die Theologin, von der ich heute erzählen will, hat in ihrem Leben viele Anfeindungen erlebt. Kein Wunder, denn Elisabeth Moltmann-Wendel, die 86jährig in Tübingen lebt, gehört in Deutschland zu den Müttern des feministischen Aufbruchs in Theologie und Kirche.

Ende der 70er Jahre war der Funke der Frauenbewegung auch auf die großen Glaubensgemeinschaften übergesprungen. Kirchenfrauen, lange eine schweigende Mehrheit, begannen das traditionelle christliche Frauenbild und die dazu gehörige patriarchale Theologie kritisch zu hinterfragen. Für das konservative Spektrum in der evangelischen Kirche wurde Elisabeth Moltmann-Wendel damals zum roten Tuch.

Sie hat aber auch viel Anerkennung und dankbare Resonanz gefunden. Ein Ehrenplatz in der Geschichte des Frauenaufbruchs in Theologie und Kirche ist ihr gewiss.

Zitatensprecherin
Wir machten Ferien auf der Schwäbischen Alb. Die Kinder waren zum Spielen gegangen und ich wanderte langsam über die Wiese hinter unserem Ferienhaus zum Wald hinaus und versuchte zu sortieren, was nicht mehr an einem Platz stand.

Vor einiger Zeit hatten Freunde aus den USA… mir Bücher und Artikel der amerikanischen Frauenbewegung mitgebracht… und die hatten meine Welt auf den Kopf gestellt: Die Verfasserinnen der Artikel stellten Frauen ins Zentrum ihrer Reflexionen. Sie forderten gleichen Wert, gleiche Würde und gleiche Rechte, aber sie machten klar, dass dies nicht mit einer Anpassung und Einordnung der Frau in die gegenwärtige Gesellschaft zu tun sei sondern eine Kulturwende bedeutete. Und dabei waren auch theologische Artikel gewesen, die diese Kehrtwende nicht als gottlosen Egoismus, dem Christenfrauen nur mit schlechtem Gewissen folgen konnten, sondern als Gottes Willen sahen, dem Frauen nur mit bestem Gewissen nachkommen mussten. Auch in Deutschland gab es Stimmen zur Frauenbewegung. Es gab den Protest gegen den, den ich schon öffentlich vertreten hatte. Aber nie hatte es eine theologische Stimme gegeben, die mich aus meinem christlichen Ordnungsdenken aufgeweckt hätte.“

Autorin
Elisabeth Moltmann-Wendel, Ehefrau des hoch angesehenen Tübinger Professors für Systematische Theologie Jürgen Moltmann, wurde eine solche Stimme. Als eine der Ersten in Deutschland. Und es verdient Anerkennung, dass Jürgen Moltmann sie auf diesem Weg kritisch mitdenkend begleitet hat.

Das theologische Rüstzeug brachte Elisabeth Moltmann-Wendel mit. In Berlin und Göttingen hatte das Fräulein Wendel nach dem Krieg Theologie studiert, obwohl das Pfarramt für Frauen damals noch nicht zugänglich war, und dieses Studium 1951 mit einer Promotion abgeschlossen. Doch nachdem sie 1952 geheiratet hatte, war ihr eine Anstellung in der Kirche verwehrt worden.

Damit war sie kein Einzelfall. Mit Reaktionen wie der folgenden mussten junge verheiratete Theologinnen bis in die 70er Jahre hinein rechnen:

Sprecherin
„Warum wollen Sie als Frau partout das tun, was die Männer genauso gut, vielleicht sogar noch besser können als Sie? Und warum verdrängen und versagen Sie sich das, was die Männer nicht können, nämlich Kinder kriegen? In ein paar Jahren werden sich die Pfarrer auf den Zehen herumtreten. Niemand wird dann daran interessiert sein, auch noch Frauen im Pfarramt zu beschäftigen. Ihrer Berufstätigkeit wird die öffentliche Anerkennung ganz und gar versagt bleiben. Haben Sie sich schon einmal überlegt, warum die Männer selten Dinge machen wollen, die bisher immer Frauen getan haben und die Frauen immer häufiger Männerarbeit machen wollen?
Das kann doch wohl nur am intakten Selbstwertgefühl der Männer und am gestörten der Frauen liegen...“

Autorin
Ich zitiere aus diesem Brief eines Württembergischen Schuldekans so ausführlich, damit deutlich wird, wie festbetoniert gerade in kirchlichen Kreisen damals das Rollenverständnis noch war. Die Jüngeren, die diese Zeit nicht selbst erlebt haben, werden sich das kaum noch vorstellen können. Eine Bundeskanzlerin und eine Bischöfin wären damals als Fantasieprodukte und Ausgeburten einer kranken Psyche angesehen worden. Die Männer fühlten sich noch sehr sicher.

MUSIK

Autorin
Mangelnde Bereitschaft zur Mutterschaft wird man Elisabeth Moltmann-Wendel übrigens kaum vorwerfen können. Die Professorenfrau bekam zwischen 1955 und 1963 vier Kinder, alles Töchter. Damit schien das Lebensmuster auch für sie klar vorgezeichnet.

Und doch blieb da eine innere, eine intellektuelle Leerstelle, in der die Stimmen aus den USA zu klingen begannen. Und als die Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, machte sich die Mutter auf die Suche nach dem eigenen Weg.

Sie vernetzte sich mit den Frauen der neuen Frauenbewegung in Deutschland.

Sie engagierte sich in der Evangelischen Frauenarbeit, hielt Vorträge, schrieb ein Buch, reiste zu Akademie-Tagungen und Internationalen Konferenzen, erarbeitete zusammen mit anderen Kirchenfrauen eine Stellungnahme für die EKD. Mit anderen Worten. Elisabeth Moltmann-Wendel wurde im Lauf der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zunehmend öffentlich sichtbar und hörbar.

Sie wird die intellektuellen Auftritte genossen haben. Aber das für sie entscheidende Erlebnis waren Erfahrungen, die sie machte, als sie zusammen mit Herta Leistner, der späteren Leiterin des Frauenbildungszentrums in Gelnhausen, im Februar 1979 zu einem ersten feministisch-theologischen Frauentreffen in die Akademie Bad Boll lud.

Die Akademie hatte den Tagungsort kurzfristig ausgelagert, in ein kleines Hotel im benachbarten Dorf Wiesensteig, denn sie hatte wohl nicht mit so vielen Teilnehmerinnen gerechnet. Doch es kamen weit mehr Frauen als Plätze waren. Improvisation, so erinnert sich Elisabeth Moltmann-Wendel, war das Gebot der Stunde.

Sprecherin
„Wir hatten kein Programm, das war das Interessante. Wir fingen an mit Kurzreferaten. Frauen und Bibel, Frauen und Oekumene, Frauen und Tanz, und abends tanzten wir dann.

Am Sonntagmorgen waren wir eigentlich fertig. Wir saßen beim Frühstück und Herta Leistner sagte zu mir: „Was machen wir nun?“

Da fiel mir ein, ich hatte von Ernesto Cardenal „Das Evangelium der Bauern von Solentiname“ gelesen. Die saßen sonntags am Tisch und lasen ein Stück aus der Bibel und dann fingen sie an, sich zu erzählen, was die Bibel im Befreiungskampf bedeutet, und haben das in ihr Leben übersetzt.

Und da sagte ich “Machen wir doch einfach so etwas“. Ich hatte keinerlei Erfahrung. Wir haben dann die Geschichte von der blutflüssigen Frau genommen und haben es so gemacht wie die Frauen in Solentiname – jede assoziierte…

Bis zum Mittagessen hatten wir 3 Stunden intensivstes Gespräch und fast alle machten mit. Aus ganz verschiedenen Perspektiven: theologisch, kritisch, pietistisch, matriarchal, fromm oder von Kirche ganz entfernt.

Dann ging es zum Mittagessen und wir sagten: „Nun müssen wir aber Schluss machen“. Und dann fielen wir uns um den Hals vor Entzücken. Es war ja alles ganz neu, es gab noch keine Methode. Und in dieser Art war es ganz bezaubernd, wie wir plötzlich miteinander ganz persönlich wurden.“

Autorin:
Mit dem Treffen in Wiesensteig begann die Tradition der Feministischen Werkstätten in Bad Boll, die bis in die späten 90er Jahre fortgesetzt wurde. Die Erinnerung daran hüten viele Teilnehmerinnen bis heute wie einen kostbaren Schatz. Es war der Mut zu einer Theologie, die aus der Erfahrung kommt, der die Frauen so beflügelte. Und es war genau das, was den Männern daran so unheimlich war.

MUSIK

Autorin
Je mehr Elisabeth Moltmann-Wendel in die theologische Arbeit mit Frauen einstieg, umso spürbarer wurde für sie, wie tief die patriarchale Rollenzuweisung noch im Selbstverständnis der Frauen verankert war.

Der jahrhundertelange Ausschluss von Bildung und Selbstbestimmung, die Fixierung auf Ehe und Mutterschaft, die männliche Definition von dem, was Sexualität zu sein habe und wie sie gelebt werden dürfe, die theologische Abwertung als Verführerin des Mannes – all das hatte seelische Spuren hinterlassen und eine tiefe Verunsicherung darüber, was gelingendes weibliches Leben denn sein könnte.

Und so empfanden sich denn die Kirchen-Frauen, zu denen Moltmann-Wendel in damals sprach, oft eher als schuldbeladene Sünderinnen, kaum aber als von Gott geliebte und zwar mit all ihren Macken und Fehlern geliebte Menschen.

Frustriert notiert Moltmann-Wendel während einer Tagung 1980 mit jungen Pfarrerinnen:

Sprecherin
Keine hatte darüber nachgedacht, was es heute für Frauen heißt, sich selbst anzunehmen. Keine konnte sich eigentlich wirklich annehmen, mit Haut und Haar, Innen und Außen, mit angeblich Gutem und angeblich Schlechtem: All das blieb draußen, was die Frauen an sich selbst zu verachten gelernt hatten: ihre „Macken“, ihre „Fehler“, ihre Emotionen, ihre unerwünschten Verhaltensweisen, die sie unbeliebt machten. Ihre „Schwächen“ hatten sie noch nie in „Stärke“ umgewandelt…
Sie saßen da, kritisch und bereit, ausgewogene und angepasste Persönlichkeiten zu werden, aber ihre tieferen Schichten waren nicht berührt.“

Autorin
Elisabeth Moltmann-Wendel hatte eine schlaflose Nacht. Und entwarf dann einen Ermutigungstext, in den sie alles hineinpackte, was ihr ihr biblisch und theologisch die Gewissheit gab, dass Gott uns annimmt und liebt in unserer ganzen Unvollkommenheit, dass wir da nichts abarbeiten müssen, sondern einfach nur vertrauen und annehmen.

Mit drei Überschriften trat sie am nächsten Morgen vor die verzagten Theologinnen, und die dabei gewesen sind, zitieren diese drei Sätze noch heute wie ein Mantra:

„Ich bin gut, ich bin ganz, ich bin schön“
Ich bin gut, weil ich so, wie ich bin, aus Gottes Händen komme.
Ich bin ganz, weil ich mich zu meiner Leiblichkeit, aber auch zu meinen Sinnen, meinen Gefühlen und Konflikten bekenne. Wer ganz ist, muss nicht perfekt sein.
Ich bin schön, weil Gottes Blick auf mich ein liebender Blick ist, der gerade rückt, was an mir krumm ist. Oder, um es mit Martin Luther zu sagen: vor Gott ist auch der Sünder schön, denn seine Schuld ist schon bezahlt.

Für heutige Ohren sind das eher protestantisch-theologische Selbstverständlichkeiten. Im Rahmen der Feministischen Werkstätten der 80er Jahre jedoch war es eine nachdrückliche Ermutigung zum aufrechten Gang. Es ging nicht mehr darum, in Ergebenheit „sein Kreuz“ anzunehmen, es ging darum, „ein eigener Mensch“ zu werden.

Sprecherin
„Mit solchen Augen sah man auch anders auf die Bibel und die Frauen der Bibel. Und neu gelesene Quellen, viele Untersuchungen und der geschärfte Blick der Frauen für ihre eigene Geschichte entrollten uns das Bild einer Gemeinschaft von Männern und Frauen. Apostel wie Junia, Frauen in Bischofsfunktion wie Phoebe, führende Christinnen wie Maria Magdalena verändern unseren Blick von der geschlechtsspezifisch festgelegten Christin und ihrer sozialen Funktion.“

Autorin
So schrieb Elisabeth Moltmann Wendel anschaulich in einem schönen kleinen Buch: „Ein eigener Mensch werden. Frauen um Jesus“, ein Klassiker des theologischen Frauenaufbruchs, der sehr zu Recht 2006 wieder neu aufgelegt wurde.

Die typisierten Frauengestalten des neuen Testaments, Maria, Martha, Maria Magdalena bekommen hier Lebendigkeit und geistliche Tiefendimension. Jedes biografische Detail wird wichtig.

Maria Magdalena ist eben nicht gleichzusetzen mit der namenlosen Sünderin, die Jesus die Füße salbt und bei Lukas erwähnt wird. Sie war eine Frau aus Magdala, die unter schweren Depressionen und Wahnvorstellungen litt und von Jesus geheilt wurde. Als seine engste Vertraute hat sie in der frühchristlichen Gemeinde eine große Rolle gespielt.

Ein gleiches gilt für Martha, in der wir nicht nur die dienende Hausfrau sehen dürfen, als die sie, wiederum, bei Lukas erscheint. Sie ist, und davon erzählt Johannes, auch eine Christusbekennerin von Format, die in ihrer Glaubensgewissheit Petrus an die Seite zu stellen ist. Die mittelalterliche Volksfrömmigkeit hat noch von der Stärke der Martha gewusst. Die Legende macht sie zu einer Drachentöterin, die wieder Ordnung und Sicherheit in die Welt bringt.

Gänzlich übersehen wird bisher Johanna. Eine Dame der Hofgesellschaft des Herodes, Ehefrau eines hohen Beamten. Diese Johanna verlässt ihren Mann, schließt sich der Jesus-Bewegung an und unterstützt sie mit ihrem Vermögen. Eine tolle Geschichte! Lukas hat sie nachrichtlich festgehalten (Lukas 8, 1-3) und benennt Johanna auch als eine der Frauen, denen als Erste am leeren Grab die Auferstehung verkündigt wird. Er sieht sie auch unter dem Kreuz stehen. Aber spielt diese Johanna in der gepredigten Überlieferung irgendeine Rolle? Nein, sie wird ausgeblendet.

Die patriarchale Theologie hatte und hat keinen Sinn für Frauen, die ihre Emanzipation selbst in die Hand nehmen.

Sie hatte und hat auch keinen Sinn für den wertschätzenden, unbefangenen Umgang, den Jesus mit Frauen pflegte, gerade mit solchen, die aus der traditionellen Ordnung herausgetreten waren.

Die Bibel ist in einer vorwiegend patriarchalen Kultur geschrieben worden.

Über die Jahrtausende sind aus ihr immer wieder die Botschaften herausgelesen worden, die Frauen auf ihren Platz verweisen, auf ihre gottgewollte Rolle als Ehefrau und Mutter.

Elisabeth Moltmann-Wendel aber lädt in den vielen Büchern, die sie geschrieben hat, dazu ein, die Bibel mit anderen Augen zu lesen.

Mit Röntgen-Augen sozusagen, um den Subtext zu entdecken, der unter der patriarchalen Überformung durchschimmert.

Und sie ermutigt uns immer wieder, bei dieser Erkundung die eigene Erfahrung, die eigenen Sinne, den eigenen Alltag miteinzubeziehen.

Aber auch die vielen widerständigen Kulturzeugnisse ,die subversiv immer schon ein anderes Frauenbild transportierten.

Dann, so ist sie sicher, werden wir eine Entdeckung machen:

Sprecherin
„Die Bibel enthält eine in der Welt einzigartige Geschichte von Größe, Souveränität, Weisheit und Mut von Frauen. Sie ist vielleicht das interessanteste Buch einer Frauenemanzipation.“

MUSIK

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